17.10.2014, 15:13
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Hinter dem Projekt steht Lockheeds Forschungsabteilung Skunk Works, offiziell Advanced Development Programs (ADP) genannt. Sie war bisher vor allem für die Entwicklung von Militärflugzeugen bekannt, darunter die Spionagejets U-2 und SR-71 "Blackbird", der weltweit erste Tarnkappenbomber F-117 oder das Stealth-Jagdflugzeug F-22 "Raptor" - allesamt Maschinen, die ihrer Zeit deutlich voraus waren. Als Top-Adresse der Plasmaphysik war Lockheed Martin dagegen bisher nicht bekannt.
Sollte stimmen, was die Skunk-Works-Forscher behaupten, stünde nicht nur die Energiebranche, sondern die gesamte Weltwirtschaft vor einer Revolution. Schiffe, Lkw und sogar Flugzeuge und Raumschiffe könnten künftig von winzigen Fusionsreaktoren angetrieben werden. Die geringe Größe ermögliche auch schnellere Entwicklungsschritte, meint Thomas McGuire, Leiter des Skunk-Works-Teams.
Energie der Sonne
Kernfusionskraftwerke sollen Energie im Prinzip auf ähnliche Weise produzieren, wie es die Sonne tut: Unter enormem Druck und großer Hitze verschmelzen Wasserstoff- zu Helium-Atomkernen, wobei ungeheure Energiemengen freiwerden. In Reaktoren werden dazu die Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium in ein Vakuum-Gefäß eingeführt. Fokussierter Strahlung ähnlich wie in einer Mikrowelle heizt die Isotope stark auf, sodass ein Plasma entsteht. Es wird von starken Magnetfeldern in Schach gehalten, um zu verhindern, dass es die Wände des Gefäßes berührt und wieder abkühlt. Die Magnetfelder, erzeugt von supraleitenden Spulen, pressen das Plasma immer weiter zusammen, bis die Kernfusion einsetzt. Die Hitze, die dabei entsteht, soll Turbinen zur Stromerzeugung antreiben.
Der Brennstoff für die Kernfusion wäre praktisch unbegrenzt vorhanden. Deuterium kann aus Meerwasser, Tritium aus dem weithin verfügbaren Lithium gewonnen werden. Es gäbe außerdem so gut wie keinen radioaktiven Abfall, dafür aber Strom im Überfluss. Laut Lockheed könnte das 100-Megawatt-Kraftwerk ein ganzes Jahr lang mit 25 Kilogramm Brennstoff laufen.
Top-Wissenschaftler in aller Welt arbeiten seit Jahrzehnten am Fusionsreaktor, bisher mit eher mäßigem Erfolg. Das Problem: Um das Plasma zu erhitzen und es mit Magnetfeldern einzufangen, sind enorme Energiemengen nötig. Ein Kraftwerk, das mehr Strom produziert, als es benötigt, ist trotz Milliarden-Investitionen bisher in weiter Ferne. Der internationale "Iter"-Versuchsreaktor im französischen Cadarache etwa soll 2020 mit ersten Plasmatests beginnen, Versuche mit Deuterium und Tritium sind für 2027 geplant, mit einem nennenswerten Strom-Output wird frühestens 2040 gerechnet.
Revolution durch Quereinsteiger?
Und nun wollen die Quereinsteiger von Skunk Works, angeführt von Luftfahrtingenieur McGuire, quasi aus dem Stand die Lösung gefunden haben? Bei dem Konzern scheint man davon überzeugt. Der Compact Fusion Reactor nutze ein "radikal neues Verfahren" zur Plasma-Kontrolle, berichtet das US-Luftfahrtmagazin "Aviation Week", das nach eigenen Angaben "exklusiven Zugang" zu dem Experiment hatte.
Bei bisherigen Versuchsreaktoren soll die Kernfusion in einer ringförmigen Röhre, einem Torus, ablaufen, der von Magnetspulen umschlossen ist. Die Skunk-Works-Ingenieure wollen dagegen mehrere Spulen hintereinander im Inneren der Reaktionskammer platzieren, um ein Magnetfeld von anderer Geometrie zu erzeugen. Auf diese Weise soll der CFR zehnmal effizienter sein als die bisherigen, Donut-förmigen Reaktoren - und damit bei gleicher Leistung auch zehnmal kleiner.
Der "Aviation Week"-Bericht ist das bisher Ausführlichste, was über das Lockheed-Projekt mit der internen Bezeichnung "T4" veröffentlicht wurde. Die offiziellen Verlautbarungen des Unternehmens selbst klingen in Vergleich dazu recht nebulös. Doch Lockheed Martin hofft offenbar, mit dem Reaktor Geld zu verdienen. Die Firma hat - von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt -, mehrere Patentanträge gestellt, die im September publiziert wurden. Einer beschäftigt sich mit der magnetischen Plasmafalle, ein weiterer mit der Erhitzung des Plasmas und ein dritter mit der Kühlung der Bauteile im Plasma.
Konzepte aus den Achtzigerjahren
Doch die Dokumente tragen offenbar nicht dazu bei, andere Forscher von dem Konzept zu überzeugen. Zum einen ist die Skunk-Works-Idee keinesfalls so neu wie Lockheed Martin behauptet, sondern kombiniert lediglich altbekannten Arten magnetischer Plasmafallen miteinander. Doch die Erforschung dieser Konzepte - im Fachjargon "magnetic cusp" und magnetischer Spiegel - wurde schon Mitte der Achtzigerjahre aufgegeben, erklärt Minh Quang Tran, Professor an der École Polytechnique Fédérale im schweizerischen Lausanne. Den Grund sei, dass geladene Teilchen aus den Magnetfallen entweichen können, was zu einem "nicht tolerierbaren" Energieverlust führe, sagt Sibylle Günter, wissenschaftliche Direktorin des Greifswalder Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP).
Auch dass die Magnetspulen innerhalb des Plasmas liegen sollen, statt wie bei "Iter" außerhalb, stelle kaum überwindlbare Probleme dar. Zum einen müssten sie irgendwie an der Innenwand des Gefäßes befestigt werden. "Daher würden Plasmateilchen aus dem Zentrum der Anlage direkt auf diese materiellen Strukturen treffen", so Günter, was zu einer Abkühlung des Gases führen würde. Außerdem müssten die Spulen gegen das heiße Plasma und die bei der Fusion erzeugten Neutronen geschützt werden, was eine mindestens 80 Zentimeter dicke Abschirmung erfordere.
Fusionskraftwerk soll billiger als Kohlekraftwerk sein
Damit aber sei ein so kleines Kraftwerk, wie es Lockheed Martin vorschwebe, passé. Der US-Physiker Tom Jarboe von der University of Washington wurde noch deutlicher. Sollte die Abschirmung der Spulen auch nur einen Meter dick sein, schrieb Jarboe in einem Kommentar zum "Aviation Week"-Artikel, "dann hätte die Maschine die Ausmaße eines halben Football-Felds". Denn sämtliche Komponenten des Reaktors müssten dann deutlich größer dimensioniert werden.
Alle diese Probleme seien mit den heute genutzten Tokamak- und Stellarator-Konzepten bereits überwunden, meint Günter. Dass dennoch keine kleineren Kraftwerke möglich seien, habe zwei Gründe: Soll ein Fusionskraftwerk mehr Strom produzieren, als es benötigt, müsse seine Wärmeisolierung 50-mal besser sein als die von Styropor. Zudem betrügen die Temperaturen im Plasma-Zentrum 100 bis 200 Millionen Grad, während sie an den Wänden der Kammer aber höchstens 1000 Grad erreichen dürften. Auch dafür sei eine Mindestgröße nötig. Wie das Lockheed-Design "überhaupt eine positive Energiebilanz erreichen kann, ist nicht einmal ansatzweise im Patenvorschlag erwähnt".
Trotz aller Hürden hat die Fusionsforschung zuletzt Fahrt aufgenommen. Erst im Oktober 2013 hatten US-Forscher gemeldet, dass ein Fusions-Treibstoff erstmals mehr Energie abgab, als der zur Zündung eingesetzt Laserbeschuss verschlang. US-Physiker Jarboe wiederum will an diesem Freitag auf einer Fusionsenergie-Konferenz im russischen St. Petersburg sein eigenes Konzept vorstellen: einen sogenannten Spheromak-Reaktor, von dem es sogar schon einen Prototypen namens "Dynomak" gibt.
Drei kleine Toren sollen das heiße Plasma stabilisieren, indem sie Ströme in das leitende Gas einbringen. Gigantischen Magnetspulen wie bei "Iter" oder "Wendelstein 7-X" würden dadurch überflüssig, was die Kosten auf ein Zehntel senke. Ein Dynomak-Kraftwerk mit einem Gigawatt Leistung würde laut Jarboe lediglich 2,7 Milliarden Dollar kosten - "verglichen mit 2,8 Milliarden für ein umweltschädliches Kohlekraftwerk mit derselben Leistung".
Quelle
http://www.spiegel.de/wissenschaft/techn...97484.html
Je größer wir die Finsternis erkennen, desto wahrer erreichen wir in der Finsternis das unsichtbare Licht.
Nikolaus von Kues
1401 - 1464
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