25.12.2011, 22:20
Ich habe einen besonderen Kalender geschenkt bekommen. IN dem stand folgende Geschichte, die, wie ich denke, sehr gut hier rein passt.
"Verpasst"
Sonnabend, Ende Januar.
Es ist kalt. Unter null Grad. Seit Tagen schon.
Im Eppendorfer Baum auf der Höhe "Backhu" neben der Treppe zur U-Bahn spricht eine Frau die vorbei Eilenden an. Groß, hager, sehr bleich, verfroren.
Ich höre undeutliche Worte; nur "Hunger" verstehe ich.
Ich schaue auf. Greife zur Geldbörse. Finde keine Münzen.
Murmele "Entschuldigung". Vierzig Meter weiter. Ich begreife endlich, sie braucht keine Münzen, sie braucht mehr.
Ich zücke einen Euro-Schein, wende, gehe zurück, suche. Ich werde ihr raten, gleich hier zum Fleischer zu gehen; da gibt es eine dicke warme Suppe.
Ich suche vergeblich. die Bettlerin ist weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Ich gucke in den Bäckerladen, auch noch hier und da. Sie bleibt weg. Ich fühle mich schlecht. Den MOment hab ich verpasst. Mansches, was notwendig ist, muss man sofort tun, nicht erst zwanzig Sekunden später. Es kann dann schon zu spät sein.
Siegfried von Kortzfleisch
"Bettlerin in Ehren"
Nachspiel. Sonnabend - eine Woche später. Ich habe die Fraum vom Eppendorfer Baum noch einmal gesehen, gleich neben dem Eingang zur U-Bahn auf der anderen Straßenseite. Grau gekleidet wie letzte Woche, aber leichter. Es ist nicht mehr so kalt. sie spricht die Leute wieder an.
Ich höre "Hunger" und "etwas zu essen".
Ich halte Geld bereit, warte, dass sie auch mich anspricht. Sie tut es nicht.
Ich wunere mich, sage es laut. Sie darauf:"Mütter und alte spreche ich nicht an. die haben selber nicht viel."
Meine Gabe musste ich ihr aufnötigen. Sie hat ihre Grundsätze. Eine Bettlerin in Ehren. Sie beschämt mich.
Siegfried von Kortzfleisch
In Liebe
~Arokym~