04.10.2015, 23:14
Es ist zuallererst eine furchtbare Geschichte..
Die Entenmutter brütet ein anders sehendes Ei aus, das kleine Ding schlüpft später. Und es sieht anders, komisch aus, grau statt gelb, wie die Entenküken. Folglich wird es von den anderen Entlein verspottet, überall schnappt man nach ihm, und man ärgert es. "Das ist das häßlichste Entlein, was ich je gesehen habe", verkündete der Herr des Geflügelhofes, als er das kleine häßliche Ding sah.
Die mütterliche Ente versuchte zu Anfang noch, das kleine zu schützen. Doch bald wurde es der der Mühe müde. Das kleine Entlein, das sich nicht wehren konnte, war überall Spott und Leid ausgesetzt.
Da beschloß das kleine Entlein, wegzulaufen. Unterwegs wird es Zeuge eines furchtbaren Lärms, und zwei Vögel fallen von Himmel. Laute Hunde laufen vorbei, das kleine Entlein versucht nur, der Gefahr zu entkommen, was ihm gelingt. Als es einem Weg aus Kieseln folgt,gelangt es zu einem Häuschen. Aus der offenen Tür sieht es eine alte Frau mit einer Katze und einer Henne, die es einlädt, hineinzukommen. Irgendwann gab die Frau auf, dass dieses Tier jemals Eier legen würde, und auch die Katze und die Henne blickten hochmütig auf das Tier hinab, zumal sie ihr Futter mit ihm teilen mußten. In einem unbemerkten Augenblick floh das Entlein, und lief davon. Als es einen abgelegenen Teich fand, beschloß es, dort ein Leben in Einsamkeit zu führen.
Es wurde kälter, Laub fiel auf das Wasser, und das Entlein erblickte von weitem einen Schwarm Schwäne, die bald davongeflogen waren. So träumte es eine Zeitlang vom Fliegen. Langsam wurde es kälter, und eine dünne Eisschicht legte sich über das Wasser. Das Entlein, das am Ende war, konnte nichts mehr gegen die Kälte tun, und die Füße wurden ihm taub. Als es gerade einschlafen wollte, fand ein Mann das widerstandslose Tier, wickelte es in eine Decke, und nahm es mit nach Hause. Dort vertraute er das Entlein seinen Kindern an. Die kümmerten sich kurz neugierig um das Tier, und dann schlug ihre Fürsorge in wildes Gebaren um. Das Entlein zerschlug alle Gegenstände im Haus, und konnte schließlich durch ein Fenster in die grimmige Kälte entkommen.
Den Rest des Winters verbrachte das kleine Entlein elendig, und es gelang ihm gerade zu überleben. Irgendwann wurden die Schatten kürzer, und Krokusse guckten aus dem Ufergras. Da verspürte das Entlein ein eigenwilliges Bedürfnis, die Flügel zu strecken, und zu bewegen. Wie erstaunt war es, als es feststellte, dass seine Flügel gewachsen waren? Dann spürte es, wie wie seine Flügel es von der kalten Erde hoben, und bis zu den Baumwipfeln trugen. Es war entzückt von seiner neuen Fähigkeit, und der Vogel erfuhr Freude, und lachte, während er in Freiheit flog. Er landete schließlich in einem Teich, in dem die herrlichen Vögel schwammen, die er vergangenen Herbst hatte am Himmel vorüberfliegen sehen. Die königlichen Vögel betrachteten den Neuankömmling, doch anstatt auf ihn einzuhacken, und es fortzujagen, schwammen sie auf ihn zu. Da beugte das häßliche Entlein sich hinunter zum Wasser, und erblickte ein unglaubliches Bild. Sein Spiegelbild auf dem Wasser, ein wunderschöner Schwan! Die anderen Schwäne liebkosten ihn, und gaben ihm das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein. Und Kinder am Ufer deuteten auf ihn, und riefen: was für ein wunderschöner Schwan!
In diesem Märchen ist noch einmal all das Leid und die Drangsal enthalten, die wir auf unserem Weg erlitten haben. Noch einmal vertieft in einer sehr schlimmen Form. Das häßliche Entlein wird verspottet und ausgestoßen von den eigenen Artgenossen. Aus jedem Haus muss es fliehen, weil es nicht dem entspricht, was die anderen von ihm erwarten. Die Erfahrungen des Entleins, ausgestoßen und gequält zu werden, würden wir heute als "mobbing" bezeichnen. Eine sehr schwere Form des Leids. Es überlebt den Winter nur knapp. Nur die Barmherzigkeit eines Mannes wird ihm zu Teil, dessen Kinder das häßliche Entlein auch wieder verjagen.
Dazu kommt, dass das häßliche Entlein unschuldig ist. Das hat mit der Reinheit nach dem langen Weg zu tun. Die Karte XX ist die zweithöchste Karte im Erlösungszyklus. Diese Unschuld vertieft das Leid noch, denn das häßliche Entlein kann nichts dazu, dass es überall ausgestoßen und gequält wird.
Dieses wunderbare Transformationsmärchen hat eine große psychologische Erlösungskraft, denn wer hat nicht solche Phasen des Ausgestoßenseins und des Leids erlebt. So kann man sein eigenes Leid in dieses Märchen legen, und durch das Mitgefühl gegenüber dem häßlichen Entlein wird auch ein Stück eigenes Leid geheilt und erlöst.
Und dann diese wunderbare Transformation in einen schönen Schwan. Den "Königsvogel" Auf dem Kartenbild ist er abgebildet, wie er sich gerade vom Teich löst, und die Flügel schlägt. Um ihn herum, am Ufer, sind Feenkugeln erkennbar, Licht, und Wurzeln, also die Geister der Natur. Auf dem Teich schwimmen Seerosen, für Reinheit und die Verbindung zum Unterbewußten. Und die Verbindung des Wassers zur Luft, vom Teich - zum Fliegen. Es ist eine Verschmelzung von Unbewußtem, Wasser, und hoher bewußter Selbstwahrnehmung, der Luft, die dem schönen Schwan die Freiheit gibt.
Das Märchen ist aus dem Buch und Karten "Das Märchentarot", Arun Verlag, von Lisa Hunt, entnommen. Die Deutung ist überwiegend von mir. Natürlich war mir das Märchen bekannt.
Folgende Wesen haben sich bei Dir bedankt: Lydia