16.03.2014, 09:56
Das Leben ist kein Wartezimmer…
Eines Tages werden wir alt sein…Wie werden wir dann auf unser Leben zurückschauen und welche Geschichten werden wir erzählen können?
Eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby werden wir alt sein
und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können
Ich, ich bin der Meister der Streiche wenn’s um Selbstbetrug geht
bin ein Kleinkind vom Feinsten wenn ich vor Aufgaben steh
bin ein entschleunigtes Teilchen, kann auf keinstem was reißen,
lass mich begeistern für Leichtsinn, wenn ein Andrer ihn lebt
Und ich denke zu viel nach, ich warte zu viel ab,
ich nehm mir zu viel vor und ich mach davon zu wenig
ich halt mich zu oft zurück, ich zweifel alles an,
ich wäre gerne klug, allein das ist ziemlich dämlich
ich würd gern so vieles sagen, aber bleibe meistens still,
weil, wenn ich das alles sagen würde, wär das viel zu viel
ich würde gern so vieles tun, meine Liste ist so lang,
aber ich werd‘ eh nie alles schaffen,
also fang ich gar nicht an
Stattdessen häng ich planlos vorm Smartphone,
wart bloß auf den nächsten Freitag,
„ach das mach ich später“ ist die Baseline meines Alltags
Ich bin so furchtbar faul, wie ein Kieselstein am Meeresgrund,
ich bin so furchtbar faul, mein Patronus ist ein Schweinehund
mein Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft mich auf,
mein Dopamin, das spar ich immer, falls ich‘s noch mal brauch
Und eines Tages, Baby, werd ich alt sein, oh Baby werd ich alt sein und an all die Geschichten denken, die ich hätte erzählen können
und du, du murmelst jedes Jahr neu an Silvester die wiedergleichen Vorsätze treu in dein Sektglas
und Ende Dezember stellst du fest, dass du Recht hast, wenn du sagst,
dass du sie dieses Jahr schon wieder vercheckt hast
Dabei sollte für dich 2013 das erste Jahr vom Rest deines Lebens werden
du wolltest abnehmen, früher aufstehen,
öfter rausgehen, mal deine Träume angehn,
mal die Tagesschau sehn, für mehr Smalltalk, Allgemeinwissen
Aber so wie jedes Jahr, obwohl du nicht damit gerechnet hast,
kam dir wieder mal dieser Alltag dazwischen
unser Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft uns auf
unser Dopamin das sparen wir immer falls wir‘s noch mal brauchen
Und wir sind jung und haben viel Zeit, warum sollen wir was riskieren,
wir wollen doch keine Fehler machen,
wollen doch nichts verlieren
und es bleibt so viel zu tun, unsere Listen bleiben lang,
und so geht Tag für Tag ganz still ins unbekannte Land
Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können
und die Geschichten, die wir dann statt dessen erzählen, werden traurige Konjunktive sein, wie
„Einmal bin ich fast einen Marathon gelaufen, und hätte fast die Buddenbrooks gelesen
und einmal wär ich beinahe, bis die Wolken wieder Lila waren, noch wach gewesen,
und fast, fast hätten wir uns mal demaskiert und gesehn, wir sind die Gleichen,
und dann hätten wir uns fast gesagt, wie viel wir uns bedeuten“,
werden wir sagen
Und dass wir nur bloß faul und feige waren, werden wir verschweigen,
und uns heimlich wünschen noch ein bisschen hier zu bleiben
Wenn wir dann alt sind und unsere Tage knapp – und das wird sowieso passieren – dann erst werden wir kapieren, wir hatten nie was zu verlieren,
denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir selber wählen,
also lass uns doch Geschichten schreiben, die wir später gern erzählen
Lass uns nachts lange wach bleiben, aufs höchste Hausdach der Stadt steigen,
lachend und vom Takt frei die allertollsten Lieder singen
Lass uns Feste wie Konfetti schmeißen, sehn, wie sie zu Boden reisen und die gefallenen Feste feiern, bis die Wolken wieder Lila sind,
Und lass mal an uns selber glauben, is mir egal ob das verrückt ist,
und wer genau guckt sieht, dass Mut auch bloß ein Anagramm von Glück ist
Und wer immer wir auch waren,lass mal werden wer wir sein wollen
Wir haben schon viel zu lang gewartet, lass mal Dopamin vergeuden
Der Sinn des Lebens ist leben, das hat schon Casper gesagt
Let’s make the most of the night, das hast schon Ke$a gesagt
lass uns möglichst viele Fehler machen und möglichst viel aus ihnen lernen
lass uns jetzt schon Gutes säen, damit wir später Gutes ernten
Lass uns alles tun, weil wir können und nicht müssen
weil jetzt sind wir jung und lebendig und das soll ruhig jeder wissen
und unsere Zeit, die geht vorbei, das wird sowieso passieren
und bis dahin sind wir frei und es gibt nichts zu verlieren
Lass uns mal demaskieren, und dann sehen, wir sind die Gleichen,
und dann können wir uns ruhig sagen, dass wir uns viel bedeuten,
denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir selber wählen
Also los, schreiben wir Geschichten die wir später gern erzählen
Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby werden wir alt sein
und an all die Geschichten denken, die für immer unsere sind
Julia Engelmann, Poetry Slam 2013
Eines Tages werden wir alt sein…Wie werden wir dann auf unser Leben zurückschauen und welche Geschichten werden wir erzählen können?
Eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby werden wir alt sein
und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können
Ich, ich bin der Meister der Streiche wenn’s um Selbstbetrug geht
bin ein Kleinkind vom Feinsten wenn ich vor Aufgaben steh
bin ein entschleunigtes Teilchen, kann auf keinstem was reißen,
lass mich begeistern für Leichtsinn, wenn ein Andrer ihn lebt
Und ich denke zu viel nach, ich warte zu viel ab,
ich nehm mir zu viel vor und ich mach davon zu wenig
ich halt mich zu oft zurück, ich zweifel alles an,
ich wäre gerne klug, allein das ist ziemlich dämlich
ich würd gern so vieles sagen, aber bleibe meistens still,
weil, wenn ich das alles sagen würde, wär das viel zu viel
ich würde gern so vieles tun, meine Liste ist so lang,
aber ich werd‘ eh nie alles schaffen,
also fang ich gar nicht an
Stattdessen häng ich planlos vorm Smartphone,
wart bloß auf den nächsten Freitag,
„ach das mach ich später“ ist die Baseline meines Alltags
Ich bin so furchtbar faul, wie ein Kieselstein am Meeresgrund,
ich bin so furchtbar faul, mein Patronus ist ein Schweinehund
mein Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft mich auf,
mein Dopamin, das spar ich immer, falls ich‘s noch mal brauch
Und eines Tages, Baby, werd ich alt sein, oh Baby werd ich alt sein und an all die Geschichten denken, die ich hätte erzählen können
und du, du murmelst jedes Jahr neu an Silvester die wiedergleichen Vorsätze treu in dein Sektglas
und Ende Dezember stellst du fest, dass du Recht hast, wenn du sagst,
dass du sie dieses Jahr schon wieder vercheckt hast
Dabei sollte für dich 2013 das erste Jahr vom Rest deines Lebens werden
du wolltest abnehmen, früher aufstehen,
öfter rausgehen, mal deine Träume angehn,
mal die Tagesschau sehn, für mehr Smalltalk, Allgemeinwissen
Aber so wie jedes Jahr, obwohl du nicht damit gerechnet hast,
kam dir wieder mal dieser Alltag dazwischen
unser Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft uns auf
unser Dopamin das sparen wir immer falls wir‘s noch mal brauchen
Und wir sind jung und haben viel Zeit, warum sollen wir was riskieren,
wir wollen doch keine Fehler machen,
wollen doch nichts verlieren
und es bleibt so viel zu tun, unsere Listen bleiben lang,
und so geht Tag für Tag ganz still ins unbekannte Land
Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können
und die Geschichten, die wir dann statt dessen erzählen, werden traurige Konjunktive sein, wie
„Einmal bin ich fast einen Marathon gelaufen, und hätte fast die Buddenbrooks gelesen
und einmal wär ich beinahe, bis die Wolken wieder Lila waren, noch wach gewesen,
und fast, fast hätten wir uns mal demaskiert und gesehn, wir sind die Gleichen,
und dann hätten wir uns fast gesagt, wie viel wir uns bedeuten“,
werden wir sagen
Und dass wir nur bloß faul und feige waren, werden wir verschweigen,
und uns heimlich wünschen noch ein bisschen hier zu bleiben
Wenn wir dann alt sind und unsere Tage knapp – und das wird sowieso passieren – dann erst werden wir kapieren, wir hatten nie was zu verlieren,
denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir selber wählen,
also lass uns doch Geschichten schreiben, die wir später gern erzählen
Lass uns nachts lange wach bleiben, aufs höchste Hausdach der Stadt steigen,
lachend und vom Takt frei die allertollsten Lieder singen
Lass uns Feste wie Konfetti schmeißen, sehn, wie sie zu Boden reisen und die gefallenen Feste feiern, bis die Wolken wieder Lila sind,
Und lass mal an uns selber glauben, is mir egal ob das verrückt ist,
und wer genau guckt sieht, dass Mut auch bloß ein Anagramm von Glück ist
Und wer immer wir auch waren,lass mal werden wer wir sein wollen
Wir haben schon viel zu lang gewartet, lass mal Dopamin vergeuden
Der Sinn des Lebens ist leben, das hat schon Casper gesagt
Let’s make the most of the night, das hast schon Ke$a gesagt
lass uns möglichst viele Fehler machen und möglichst viel aus ihnen lernen
lass uns jetzt schon Gutes säen, damit wir später Gutes ernten
Lass uns alles tun, weil wir können und nicht müssen
weil jetzt sind wir jung und lebendig und das soll ruhig jeder wissen
und unsere Zeit, die geht vorbei, das wird sowieso passieren
und bis dahin sind wir frei und es gibt nichts zu verlieren
Lass uns mal demaskieren, und dann sehen, wir sind die Gleichen,
und dann können wir uns ruhig sagen, dass wir uns viel bedeuten,
denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir selber wählen
Also los, schreiben wir Geschichten die wir später gern erzählen
Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby werden wir alt sein
und an all die Geschichten denken, die für immer unsere sind
Julia Engelmann, Poetry Slam 2013