28.05.2012, 10:51
Veröffentlicht am 28. Mai 2012 by Ruth Saphir
Allein, verlassen – völlig erschöpft und leer. Ich will nichts mehr, nicht einmal mehr den letzten Schritt gehen, das letzte Tor passieren, das während meines gesamten Aufstieges das Ziel war. Dieses Tor,auf welches ich meine Aufmerksamkeit lenkte, es oftmals aus den Augen verlor, mich verzettelte… aber dennoch, ich ging immer weiter! Anfangs waren wir so viele, die aufbrachen, und wir gingen gemeinsam. Aber es wurden immer weniger und die Wege verstreuten sich. Ich frage mich heute, wo sie wohl alle sein mögen, aber selbst für diesen Gedanken fehlt mir die Kraft. Was ist mir geblieben? Habe ich doch ständig losgelassen, teils widerwillig, teils unter Schmerzen, manchmal auch mit vollen Zügen und voller Freude…aber, ich ließ los. doch es war nicht einfach ein Wegwerfen und …das ist das Seltsame. Ich sitze hier unter dem Gipfel eines Berges, den ich zu erklimmen hoffte, wofür ich alles gab, nur um hierher zu gelangen, um dieses letzte, das entscheidende Tor zu nehmen. Aber ich nehme es nicht. Es ist mir völlig undurchsichtig, was sich oberhalb des Felsvorsprungs, in dessen Schatten ich sitze, zeigen und offenbaren wird. Ich fürchte mich. Ich sitze geborgen in diesem einen, letzten Schatten und fühle mich wohl in diesem vertrauten Gefühl. Zeitalterlang war ich in beständiger Begleitung von unzähligen Schatten und einen nach dem andern habe ich erst abgewehrt und verbannt. Dann erkannte ich, dass ich den Herzensweg wählen musste, habe sie mit offenem Herzen in die Arme genommen und dann ins Licht geschickt. Es war schmerzhaft und mein Weg war mit Sicherheit nicht immer ein klarer. Immerzu ging es hin uns zurück… zwei Schritte vor und einer zurück. Ich sehe sie alle, meine einstigen Schatten. Sie tanzen vor meinen Augen und wollen mit mir tanzen. Sie tanzen ihren Erlösungstanz, springen umher und wollen mich nähren mit ihrem hohen Lichte, in welches sie durch mein Loslassen getragen wurden. Ich kann nicht mehr tanzen, ich mag nicht tanzen, dafür bin ich viel zu müde, kaputt, am Ende… am Ende?, wahrlich, am Ende wovon? Folgt nicht nach jedem Ende ein neuer Anfang? Aber dieser Anfang… ich hatte mancherlei Vorstellungen, wie das sein könnte, aber nun, wo ich so kurz davor stehe, fühlt sich alles vollkommen anders an. Ich sitze in meinem letzten Schatten, einem Schatten, den die Sonne, das Hohe Licht, nicht erreichen kann und wir warten… Das Licht , der Schatten und ich, die Treppensteigerin auf Schleuderwegen. Auf was wartet ES? ES wartet nie, ES IST, und ES schaut auf mich. Es sieht mich in meinem Schatten, unter dem Versteck, dem Vorsprung. Es gilt eine Entscheidung zu treffen. Ich weiß aber, dass sie alles von mir verlangt und eine Rückkehr kann es dann nicht mehr geben. Es ist mein Tor, mein großes Tor und ich frage mich, was ich noch alles geben muss, was ich nach loslassen muss, wo mir doch nichts geblieben ist. Ich bin müde und wünschte, ein anderer würde für mich wählen – aber da ist keiner. Ich bin mit mir und völlig alleine. Ich fühle mich geborgen in meinem letzten Schatten. Immerzu war ich in Begleitung von Schatten und ich fühlte mich im gleichen Maße gegeißelt von ihnen, wie auch geborgen. Wenn ich ihn, den letzten, nun auch ins Licht schicke, dann stehe ich vollkommen nackt vor dem, was ich nicht kenne und vor dem was sich dann offenbart, wenn ich unter dem Vorsprung hervortrete. Was mache ich mit dem Schatten, was ohne ihn? Ich kann ihn nicht sehen. Dafür fühle ich ihn umso mehr. Es scheint, als würde er stärker, je mehr ich mich drücke. Er ist da und drückt auf seine Weise, aber er hält mich auch. Bilde ich mir das vielleicht nur ein und er ist gar stärker als ich, weiß deutlicher, was er will? Was will er, was will ich, was wollen wir beide? Wollen wir gar das gleiche? Wollen wir beide ins Licht treten? Vielleicht sollte ich ihn an meine Hand nehmen und wir gehen gemeinsam durch das Tor? Seltsam, so etwas habe ich noch nie gehört, das jemand seinen Schatten, den großen, den letzten, an die Hand nimmt. Nun, was sind denn die Hände? Sind es nicht Verlängerungen des Herzens. Ich nehme ihn also in mein Herz und wir gehen gemeinsam. Dann bin ich nicht alleine. Bin ich verrückt geworden, denke irre Gedanken? Aber an diesem Ort, an dem ich mich befinde, ist wohl alles neu und alles Gewusste überflüssig und unwirksam sogar. Alles ist neu und… wird er, der Schatten, dann auch noch da sein, wenn wir gemeinsam durch das Tor gegangen sind, zumindest, wenn wir uns gemeinsam dem Lichte gestellt haben? Wir halten uns gegenseitig. Scheinbar haben wir beide Angst.. wovor? Wir haben beide Angst, dass ich versage. Er ist abhängig von meiner Entscheidung. Eine Stimme flüstert mir ins Ohr: “Du hast Angst vor der, die du bist und ich, deine letzte Angst vor dir selbst.. ich habe Mitgefühl mit dir und warte, bis du uns beide befreist, aber wir haben wenig Zeit, denn du bist am Ende deiner Kräfte und am Ende deiner Zeit. “Wähle! Wähle jetzt, damit wir beide frei sein können!”
Ich schaue nach oben. Ich rufe nach Hilfe, Unterstützung, einem Impuls.. einem Zeichen, das mir den nächsten, den einzigen noch zu gehenden Schritt ein wenig erleichtert… Wenn ich mich nur traute? Ich bin so müde, aber hier sitzen kann ich auch nicht für immer. Sollte ich erst schlafen und dann eine Entscheidung treffen? Morgen vielleicht? „Das kenne ich“ spricht der Schatten, „ nur eines sage ich dir, ich habe zwar Mitgefühl mit dir, aber wenn du jetzt keine Entscheidung triffst, werde ich mich stark machen und dich drücken, erdrücken und du wirst mich loswerden wollen und müssen. Wähle, und wähle jetzt. Es gibt kein zurück und ich will auch ins Licht. Du hast noch die Kraft für dieses eine, alles entscheidende „JA“ und sage es endlich einmal aus ganzem Herzen. Du hättest dir viele Um- und Nebenwege sparen können, wenn du „Ja“ gesagt hättest zu jedem Augenblick, der dir von ES geschenkt wurde…. ES ist auf der Anderen Seite der Himmelstores und du musst nur eines tun, dich aufrichten und den einen Schritt tun. Gehe jetzt und ich werde bei dir sein. Auf der anderen Seite sehen wir uns wieder.
Und so erhob ich mich mit zitternden Knien und ich atmete tief durch. Ich schloss die Augen und hob den Kopf in den Himmel…. Dann trat ich hervor aus dem Schatten, ging durch ihn hindurch und… da war keiner mehr. Ich sah eine Straße aus Licht an deren Seiten sich Lichtwesen aufgestellt hatten. Ich hörte Töne, alles war in das höchste Licht getaucht und ich ging.. Schritt für Schritt, immer weiter. Lichtpünktchen schwirrten unzählbar um mich herum und eines, eines war mir so nah, so vertraut und ich öffnete mein Herz und legte es in seine Mitte. Nun ist es eins mit mir, in meinem Herzen und strahlt aus meinem Innersten in die Welt:
ICH BIN DIE ICH BIN