17.08.2013, 22:50
Die Frage nach dem Sinn des Lebens
In der Bhagavad-gita wird gesagt, daß vielleicht einer unter Tausenden von Menschen versuchen wird, die Vollkommenheit des Lebens zu erlangen. Der Mensch ist ein Tier, aber es gibt etwas, wodurch er sich vom Tier abhebt: das rationale Denken. Das bedeutet, er ist imstande zu denken und zu argumentieren. Diese Denkfähigkeit findet sich auch bei Hunden und Katzen. Wenn sich uns ein Hund nähert und wir ihm durch Gesten und Worte zu verstehen geben, daß wir ihn nicht wollen, dann versteht er das. Also auch dem Hund ist ein gewisses Maß an Denkfähigkeit gegeben. Aber wodurch unterscheidet sich nun die Denkfähigkeit des Menschen?
Denkfähigkeit finden wir auch bei Tieren, wenn es auf das körperliche Wohl ankommt. Wenn eine Katze aus unserer Küche Milch stehlen will, dann zeigt sie durchaus eine gewisse Denkfähigkeit: sie schaut ständig umher und wartet auf den Moment, in dem sie von niemandem beobachtet wird. Also, um zu essen, zu schlafen, sich fortzupflanzen und sich zu verteidigen, muß auch das Tier denken. In welcher Weise hebt sich nun die Denkfähigkeit des Menschen ab?
Das Besondere am Menschen ist, daß er imstande ist, zu fragen: "Warum leide ich?" Das erfordert eine bestimmte Denkfähigkeit. Die Tiere leiden, aber sie sind außerstande, etwas dagegen zu tun. Der Mensch aber will glücklich werden und versucht, auf allen Gebieten Fortschritte zu erzielen: in der Philosophie, in kulturellen Dingen, in der Religion. "Wo ist das Glück zu finden?" Diese Art des Denkens ist dem Menschen gegeben. Deswegen sagt Krishna in der Gita: "Von vielen, vielen Menschen wird vielleicht einer Mich kennen."
Im allgemeinen unterscheiden sich die Menschen kaum von den Tieren. Ihr Wissen bleibt auf die Bedürfnisse des Körpers beschränkt: wie kann ich am besten essen, wie am besten schlafen, wie mich am besten sexuell befriedigen und verteidigen. Und die Bhagavad-gita sagt, daß vielleicht einer von tausenden sich die Frage stellen wird: "Warum leide ich? " Wir wollen kein Leid, aber Leid wird uns aufgezwungen. Wir wollen nicht zu viel Kälte, aber zu viel Kälte und zu viel Hitze werden uns aufgezwungen.
Wenn das Verlangen in uns ist, tiefer zu denken und diese Frage zu stellen, dann wird das brahma-jijnasa genannt. Das steht im Vedanta-sutra. In der ersten Strophe wird gesagt, daß man in diesem Leben als Mensch fragen muß, wie man die Probleme des Leidens lösen kann. Zu diesem Zweck ist einem die menschliche Form des Lebens gegeben worden.
Krishna sagt, daß man diese Frage nicht so ohne weiteres stellen wird, und wenn, dann nur durch das Beisammensein mit Gottgeweihten, ähnlich wie wir es in unserer Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein haben. Durch ein Beisammensein dieser Art, bei dem über die wesentlichen Dinge des Lebens gesprochen wird, kann dieses besondere Geschenk, das uns als Mensch gegeben wurde, genutzt werden, und wir werden imstande sein, anzufangen als Menschen zu denken. Solange wir uns diese wesentliche Frage nicht stellen, ist auch all unser Tun zum Scheitern verurteilt, und wir leben nicht viel anders als die Tiere. Aber das hört auf, wenn wir uns fragen: "Wer bin ich eigentlich? Ist es mein Los zu leiden, ständig Schwierigkeiten zu haben?"
Schwierigkeiten gibt es ständig für uns, durch die Naturgesetze oder durch die Landesgesetze. Wie kann man nun von diesen Schwierigkeiten frei werden? Das Vedanta-sutra sagt ebenfalls, daß die Seele, mein wahres Selbst, von Natur aus von Freude erfüllt ist. Ich aber leide. Krishna sagt, daß wir uns Gott zu nähern beginnen, wenn wir diese Fragen stellen. Man sagt, daß diejenigen, die diese Fragen stellen, sich auf dem Pfad der Vollkommenheit befinden. Und wenn die Frage nach Gott kommt und die Frage nach unserer Beziehung zu Ihm, dann ist dies die Vollkommenheit unseres Lebens.
Krishna sagt nun, daß vielleicht einer unter tausenden von Menschen versuchen wird, die Vollkommenheit des Lebens zu erreichen. Und von vielen Millionen solcher Menschen, die sich auf dem Pfad der Vollkommenheit befinden, wird vielleicht einer nur Krishna verstehen. Es ist also nicht leicht, Krishna zu verstehen. Aber gleichzeitig ist es auch sehr einfach. Es ist sehr leicht, wenn man dem vorgeschriebenen Pfad folgt.
Sri Chaitanya Mahaprabhu hat das Chanten von Hare Krishna eingeführt. Eigentlich nicht eingeführt, denn es wird schon in den heiligen Schriften davon gesprochen, aber Er hat dieses Chanten überallhin verbreitet. In diesem Zeitalter ist es der einfachste Weg, der zur Selbstverwirklichung führt. Chanten Sie nur Hare Krishna Hare Krishna, Krishna Krishna, Hare Hare / Hare Rama Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare. Jeder kann das tun. Hier bin ich wahrscheinlich der einzige Inder. Meine Schüler hier sind Amerikaner, doch sie alle chanten und tanzen. Das bedeutet, daß es überall, in jedem Land, getan werden kann. Deshalb ist es sehr einfach. Vielleicht verstehen wir die Philosophie der Bhagavad-gita nicht. Auch diese Philosophie ist nicht sehr schwer zu verstehen. Aber auch, wenn wir glauben, wir würden nicht verstehen, können wir trotzdem chanten: Hare Krishna, Hare Krishna.
Wenn wir Gott, Krishna, verstehen wollen, dann ist das der Anfang - einfach chanten. Es gibt schon viele Schüler der ISKCON (Internationale Gesellschaft für Krishna-Bewußtsein). Die Gesellschaft wurde vor etwa einem Jahr gegründet, aber einige unserer Schüler haben einzig durch das Chanten, durch die Gnade Krishnas, solche Fortschritte gemacht, daß sie über die Gotteswissenschaft sprechen können und imstande sind, Fragen zu beantworten. Dies ist also das einfachste System transzendentaler Meditation.
Krishna sagt, daß von vielen Millionen Menschen vielleicht einer Ihn erkennen wird. Aber durch das Chanten des Hare Krishna-mantra, so wie es von Sri Chaitanya Mahaprabhu eingeführt wurde - durch dieses Chanten und Tanzen - können wir Krishna in sehr kurzer Zeit erkennen. Erkenntnis beginnt nicht mit Krishna, sondern mit den Dingen, die wir jeden Tag zu sehen gewohnt sind.
Erde ist grobstofflich. Wenn man sie berührt, kann man ihre Härte spüren. Aber sobald sie sich verfeinert, ist sie Wasser, und die Berührung ist weich. Noch verfeinerter wird das Wasser zu Feuer. Nach dem Feuer oder der Elektrizität ist die Luft noch feiner, und danach ist dann der Äther noch feiner. Dann kommt der Geist, die Vernunft, dann die Intelligenz, die noch feiner ist. Und wenn man über die Intelligenz hinausgeht, um die Seele zu verstehen, darin wird man erkennen können, daß diese noch sehr viel feiner ist.
Diese Elemente haben viele Wissenschaften entstehen lassen. Da gibt es z. B. die Geologen, die durch Analysen die im Erdboden befindlichen Mineralien erkennen können. Die einen suchen Silber, die anderen Gold, und wieder andere suchen Glimmer. Das ist das Wissen, das sich auf grobstoffliche Dinge, auf die Erde bezieht. Geht man zu feineren Substanzen über, dann erforscht man Wasser oder Flüssigkeiten, wie z. B. Benzin und Alkohol. Vom Wasser gelangt man dann zum Feuer und zur Elektrizität. Wenn man die Elektrizität erforscht, dann muß man alle möglichen Bücher studieren. Und vom Feuer kommt man dann zur Luft. Im Flugzeugbau haben wir große Fortschritte gemacht. Wir untersuchen genau, wie sich Flugzeuge bewegen und wie sie zusammengesetzt sind - jetzt gibt es Düsenflugzeuge und Satelliten - so viele neue Dinge werden entdeckt und entwickelt.
Als nächstes kommt das Studium des Äthers: Elektronik, ätherische Transformationen. Dann der Verstand - Psychologie und Psychiatrie. Und schließlich die Intelligenz, die Vernunft, welche die Spekulationen der Philosophie hervorbringt. Und die Seele? Gibt es eine Wissenschaft der Seele? Für die Materialisten jedenfalls nicht. Sie sind bis zum Studium des Äthers, des Verstandes und der Intelligenz vorgedrungen, aber darüber hinaus wissen sie nichts. Was jenseits der Intelligenz existiert, das wissen sie nicht. Aber in der Bhagavad-gita kann man dies erfahren.
Die Bhagavad-gita beginnt an dem Punkt, der hinter der Intelligenz liegt. Zu Beginn ist Arjuna verwirrt und er weiß nicht, ob er kämpfen soll oder nicht. Krishna beginnt die Gita an dem Punkt, an dem die Intelligenz versagt. Wo beginnt Erkenntnis der Seele? Nehmen wir ein spielendes Kind als Beispiel. Der Körper des Kindes ist jetzt klein, aber eines Tages wird das Kind erwachsen sein. Das können wir begreifen. Und die gleiche Seele wird weiterbestehen. Mit unserer Intelligenz also können wir verstehen, daß die Seele geblieben ist, obgleich der Körper sich geändert hat. Die gleiche Seele, die im Körper des Kindes war, ist noch im Körper des alten Mannes. Man sieht daraus also, daß die Seele geblieben ist und nur der Körper sich verändert hat. Das kann man ohne weiteres verstehen. Und wenn sich der Körper das letzte Mal verändert hat, dann wird das Tod genannt. Dieser Körper ändert sich jeden Moment, jede Sekunde, jeden Tag, jede Stunde, und wenn man in diesem Körper nicht mehr tätig sein kann, dann tritt die letzte Änderung ein, und man muß einen neuen anlegen. Das ist wie mit einem Anzug, der zu abgetragen ist, der zu alt ist - man kann ihn nicht mehr anziehen, man braucht einen neuen. Mit der Seele ist es auch so. Wenn der Körper zu alt wird und nicht mehr richtig funktioniert, dann brauche ich einen neuen. Dieser Punkt wird dann Tod genannt.
Hier beginnt die Bhagavad-gita, hier, wo erste Erkenntnis über die Seele bereits vorhanden ist. Es gibt allerdings nur wenige, die begreifen können, daß die Seele unvergänglich ist, während der Körper dem Wandel unterworfen ist. Deshalb sagt Bhagavan, Sri Krishna, daß es unter vielen, vielen Millionen von Menschen vielleicht nur einen gibt, der dies versteht. Aber das Wissen über all diese Dinge ist schon da und es ist nicht schwierig, das alles zu begreifen, wenn wir wirklich verstehen wollen. Jeder kann verstehen.
Nun müssen wir noch nach dem Ich forschen, der feinsten stofflichen Substanz. Was ist Ich? Ich bin Geistesseele, aber mit meiner Intelligenz und meinem Verstand bin ich mit Materie in Berührung gekommen und nun identifiziere ich mich mit Materie. Dies ist falsches Ich. Ich bin Geistesseele, aber ich identifiziere mich mit etwas anderem. Zum Beispiel identifiziere ich mich mit einem bestimmten Land und glaube, Inder oder Amerikaner zu sein. Das nennt man ahankara. Ahankara ist der Punkt, an dem die reine Geistesseele Materie berührt. Dieser Berührungspunkt wird ahankara genannt. Ahankara ist noch feiner als Intelligenz.
Krishna sagt, daß es acht stoffliche Elemente gibt: Erde, Wasser, Feuer, Luft, Äther, Verstand, Intelligenz und falsches Ich. Unser Leben in Unwissenheit hat damit begonnen, daß wir uns mit etwas identifiziert haben, was wir in Wirklichkeit nicht sind. Wir glauben, wir seien Materie, obgleich wir jeden Tag, jeden Augenblick sehen daß wir nicht diese Materie sind. Die Seele ist unvergänglich, während Materie vergänglich ist. Diese falsche Vorstellung, diese Illusion wird ahankara genannt, falsches Ich. Und frei werden bedeutet, sich von diesem falschen Ich zu lösen. Und was erkennt man dann? Aham brahmasmi: ich bin Brahman, ich bin Geistesseele. Mit dieser Erkenntnis beginnt das Freiwerden.
Natürlich, wenn man krank ist, Fieber hat, und das Fieber auf die Normaltemperatur von 37° C zurückfällt, dann ist es zwar normal, aber man ist noch nicht geheilt. Für ein paar Tage hat man vielleicht eine Temperatur von 37° C, doch durch eine Änderung in der Diät oder eine Änderung im Verhalten steigt die Temperatur sofort wieder auf 39° C an. Man hat einen Rückfall erlitten. Ebenso ist auch die Reinigung der Vernunft, die Ablehnung dieser falschen ahankara Identifikation - ich bin nicht dieser Körper, ich bin nicht Materie, ich bin Seele - nicht Erlösung. Es ist nur der Beginn der Erlösung. Wenn man an diesem Punkt verharrt und von da aus weitergeht - genauso, wie man auch seine Aktivitäten bei einer konstanten Temperatur von 37° C wieder aufnimmt - dann ist man gesund.
In der westlichen Welt z. B. ist es heutzutage üblich, Rauschmittel zu nehmen. Die Menschen wollen ihren Körper, das stoffliche Dasein, vergessen. Aber wie lange hält das an? Man wird immer wieder zurückgerufen. Im Rausch kann man vielleicht für ein oder zwei Stunden denken, daß man nicht dieser Körper ist, aber wenn man sich nicht wirklich auf der Ebene der Selbsterkenntnis befindet, dann ist es unmöglich, weiterzumachen. Aber trotzdem versuchen heutzutage sehr viele Menschen, zu glauben, daß sie nicht dieser Körper sind. Sie haben selbst erfahren, wie sie aufgrund dieses Körpers leiden müssen, und so hoffen sie dann, diesen Körper auf irgendeine Weise vergessen zu können.
Aber das ist nur eine negative Vorstellung. Sobald man sich wirklich selbst erkennt, genügt nicht mehr einfach die Erkenntnis, daß man Brahman ist. Wir müssen auch in diesem Zustand aktiv sein. Sonst sinken wir wieder tief hinab. Wenn man nur sehr hoch fliegt, dann kann dies das Problem der Mondflüge noch nicht lösen. Die verblendeten Menschen versuchen heutzutage, zum Mond zu gelangen; sie erheben sich 240 000 Meilen von der Erde, berühren den Mond und kehren zurück. Darauf sind sie dann sehr stolz. Es gibt so viele Gespräche über die Raumfahrt: Menschenmengen, Versammlungen und Konferenzen. Aber was haben sie eigentlich geleistet? Was sind schon 240 000 Meilen im unermeßlichen All! Auch wenn man 240 000 000 Meilen weit fliegt, man kommt trotzdem nicht weiter. Das also nützt alles nichts. Wenn man wirklich hoch hinauf will, dann braucht man auch eine bleibende Unterkunft. Wenn man dort ruhen kann, dann braucht man nicht herunterzukommen. Aber wenn man keine Ruhe finden kann, dann muß man wieder herunterkommen. Das Flugzeug fliegt hoch am Himmel, sieben Meilen, acht Meilen von der Erde entfernt, aber es kommt immer wieder herunter.
Also, nur ahankara zu verstehen bedeutet nicht mehr, als zu verstehen, daß man sich falsch identifiziert. Wenn wir lediglich verstehen, daß wir nicht Materie sind, sondern Seele, dann ist das noch keine Vollkommenheit. Die Anhänger der Unpersönlichkeitslehre, die Philosophen des Nichts, denken nur an das Negative, daran, daß sie nicht Materie, nicht mit diesem Körper identisch sind. Das aber ist kein bleibender Zustand. Man muß nicht nur erkennen, daß man nicht Materie ist, man muß auch in der spirituellen Welt aktiv sein. Und diese spirituelle Welt bedeutet, im Krishna-Bewußtsein tätig zu sein. Diese spirituelle Welt ist Krishna-Bewußtsein, unser wirkliches Leben.
Was das falsche Ich ist, habe ich schon erklärt. Es ist weder Materie noch Geist, sondern der Punkt, an dem die Geistesseele mit Materie in Berührung kommt und vergißt, wer und was sie ist. Das gleicht einem Menschen im Delirium, der krank ist und dessen Geist sich verwirrt; der allmählich vergißt, wer er ist, und der dann verrückt wird. Es ist ein allmähliches Vergessen. Es gibt also einen Anfang, und dann kommt der Punkt, an dem man tatsächlich vergißt. Und der Anfang dieses Vergessens wird ahankara oder falsches Ich genannt.
Durch das Chanten des maha-mantra - Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna, Hare Hare / Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare - hört nicht nur die falsche Vorstellung auf, die wir von unserem Selbst haben, sondern die Geistesseele beginnt wieder, auf der Ebene der Ewigkeit, der reinen Erkenntnis und des göttlichen Glücks in hinschenkender, dienender Liebe zu Gott, aktiv zu sein. Das ist die höchste Stufe, das endgültige Ziel aller Lebewesen, die jetzt den Kreislauf und die Lebensformen der materiellen Natur durchwandern.
- Die ewige spirituelle Seele -
"Für die Seele gibt es weder Geburt noch Tod. Auch hört sie, da sie einmal war, niemals auf zu sein. Sie ist ungeboren, ewig, immerwährend, unsterblich und urerst. Sie wird nicht getötet, wenn der Körper erschlagen wird." [Gita]
ERLÄUTERUNG: Der Qualität nach ist der winzige fragmentarische Teil des Höchsten Spirituellen Wesens mit dem Höchsten eins. Er unterliegt keinem Wandel wie der Körper. Manchmal wird die Seele als "die Beständige" oder kutastha bezeichnet. Der Körper unterliegt sechs Arten von Wandlungen: Er wird in der Gebärmutter des mütterlichen Körpers geboren, bleibt dort einige Zeit, wächst heran, zeugt Nachkommen, verfällt allmählich und gerät schließlich in Vergessenheit. Die Seele aber durchläuft nicht solche Wandlungen. Die Seele selbst wird nicht geboren, aber weil sie einen materiellen Körper annimmt, wird der Körper geboren. Die Seele wird nicht geboren, und die Seele stirbt nicht. Alles, was geboren wird, muss sterben. Und da die Seele nie geboren wurde, kennt sie weder Vergangenheit noch Gegenwart, noch Zukunft. Sie ist ewig, immerwährend und urerst - das heißt, es gibt in der Geschichte keine Spur ihrer Entstehung.
Unter dem Einfluss der körperlichen Vorstellung suchen wir nach dem Zeitpunkt der Geburt usw. der Seele. Die Seele wird zu keiner Zeit alt, wie es der Körper wird. Daher fühlt der sogenannte alte Mann, dass er der gleiche ist wie in seiner Kindheit oder Jugend. Die Wandlungen des Körpers beeinflussen nicht die Seele. Die Seele unterliegt nicht dem Zerfall wie ein Baum oder etwas anderes Materielles. Die Seele hat auch keine Nachkommen. Die Nebenprodukte des Körpers, nämlich Kinder, sind ebenfalls verschiedene individuelle Seelen, und nur im Hinblick auf den Körper erscheinen sie als Kinder eines bestimmten Mannes. Der Körper entwickelt sich, weil die Seele anwesend ist; aber weder hat die Seele Abkömmlinge, noch unterliegt sie dem Wandel. Folglich ist die Seele von den sechs Wandlungen des Körpers frei. Auch in der Katha Upanisad (1.2.1 finden wir einen ähnlichen Abschnitt, in dem es heißt:
na jayate mriyate va vipascin - nayam kutascin na vibhuva kascit /
ajo nityah sasvato 'yam purano - na hanyate hanyamane sarire
ajo nityah sasvato 'yam purano - na hanyate hanyamane sarire
Die Aussage und Bedeutung dieses Verses ist die gleiche wie in der Bhagavad-gita, aber hier in diesem Vers gibt es ein besonderes Wort, nämlich vipascit, was soviel bedeutet wie "gelehrt" oder "mit Wissen".
Die Seele ist voll Wissen oder immer von Bewusstsein erfüllt. Daher ist Bewusstsein das Merkmal der Seele. Selbst wenn man die Seele nicht im Herzen findet, wo sie sich aufhält, kann man die Gegenwart der Seele einfach durch die Anwesenheit von Bewusstsein verstehen. Manchmal finden wir die Sonne am Himmel nicht, weil sich Wolken davor geschoben haben oder aus irgendeinem anderen Grund, aber das Licht der Sonne ist immer da, und wir sind überzeugt, dass es deshalb Tag ist. Sobald frühmorgens ein wenig Licht am Himmel ist, können wir verstehen, dass die Sonne am Himmel steht.
In ähnlicher Weise können wir auch die Gegenwart der Seele verstehen, da in allen Körpern - ob Mensch oder Tier - Bewusstsein vorhanden ist. Dieses Bewusstsein der Seele unterscheidet sich jedoch vom Bewusstsein des Höchsten, da das höchste Bewusstsein Allwissen ist - es umfasst Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Bewusstsein der individuellen Seele neigt dazu, vergesslich zu sein. Wenn sie ihre wahre Natur vergisst, empfängt sie aus den erhabenen Lehren Krishnas Erziehung und Erleuchtung. Aber Krishna ist nicht mit der vergesslichen Seele zu vergleichen. Wenn dem so wäre, würden Seine Lehren in der Bhagavad-gita nutzlos sein. Es gibt zwei Arten von Seelen. die winzig kleine Seele (anu-atma) und die Überseele (vibhu-atma). Dies wird auch in der Katha Upanisad (1.2.20) wie folgt bestätigt:
anor aniyan mahato mahiyan - atmasya jantor nihito guhayam /
tam akratuh pasyati vita soko - dhatuh prasadan mahimanam atmanah
"Sowohl die Überseele [Paramatma] als auch die winzig kleine Seele [jivatma] sitzen auf dem gleichen Baum des Körpers, im gleichen Herzen des Lebewesens, und nur jemand, der von allen materiellen Wünschen und Klagen frei geworden ist, kann durch die Gnade des Höchsten die Herrlichkeit der Seele verstehen."
Krishna ist auch der Ursprung der Überseele, wie in den folgenden Kapiteln enthüllt werden wird, und Arjuna ist die winzig kleine Seele, die ihre wahre Natur vergessen hat und daher von Krishna oder Seinem echten Vertreter (dem spirituellen Meister) erleuchtet werden muss.
dehino'smin yatha dehe - kaumaram yauvanam jara /
tatha dehantara-praptir - dhiras tatra na muhyati
tatha dehantara-praptir - dhiras tatra na muhyati
So wie die verkörperte Seele in diesem Körper fortgesetzt von Knabenzeit zu Jugend und zu Alter wandert, so geht die Seele beim Tod in ähnlicher Weise in einen anderen Körper ein. Die selbstverwirklichte Seele ist durch einen solchen Wechsel nicht verwirrt.
ERLÄUTERUNG Da jedes Lebewesen eine individuelle Seele ist, wechselt es seinen Körper in jedem Augenblick und manifestiert sich so manchmal als Kind, manchmal als Jugendlicher und manchmal als alter Mann. Dennoch handelt es sich um die gleiche spirituelle Seele, die sich nicht wandelt. Diese individuelle Seele wechselt den Körper zum Zeitpunkt des Todes endgültig und geht in einen anderen Körper ein, und da sie mit Sicherheit bei der nächsten Geburt einen anderen Körper bekommt - entweder einen materiellen oder einen spirituellen -, gab es für Arjuna keinen Grund, den Tod zu beklagen, auch den Bhismas oder Dronas nicht, um die er sich so sorgte. Vielmehr sollte er sich freuen, daß sie ihre alten Körper gegen neue eintauschen und so ihre Energie erneuern würden.
Solche Körperwechsel bedeuten eine Vielfalt von Freuden oder Leiden, die sich je nach der Handlungsweise im Leben richten. Da Bhisma und Drona edle Seelen waren, wurden sie in ihrem nächsten Leben mit Gewißheit entweder spirituelle Körper oder zumindest ein Leben in himmlischen Körpern erhalten, in denen ein höherer Genuß des materiellen Daseins möglich wäre. In beiden Fällen gab es also keinen Grund zu klagen.
Jeder Mensch, der über vollkommenes Wissen von der Beschaffenheit der individuellen Seele, der Überseele und der Natur - der materiellen wie auch der spirituellen - verfügt, wird als dhira oder ein überaus besonnener Mensch bezeichnet. Ein solcher Mensch läßt sich niemals durch den Wechsel von Körpern täuschen. Die Mayavadha- Theorie des Einsseins der spirituellen Seele kann nicht damit begründet werden, daß die Seele nicht in fragmentarische Teile zerlegt werden kann und daß ein solches Zerlegen in verschiedene individuelle Seelen den Höchsten teilbar und wandelbar machen würde, was dem Prinzip widerspräche, daß die Höchste Seele unwandelbar ist.
Wie in der Gita bestätigt wird, bestehen die fragmentarischen Teile des Höchsten ewig (sanatana) und werden ksara genannt, was bedeutet, daß sie die Neigung haben, in die materielle Natur zu fallen. Diese fragmentarischen Teile sind ewig so beschaffen, und selbst nach der Befreiung bleibt die individuelle Seele der gleiche fragmentarische Teil. Aber einmal befreit, lebt sie zusammen mit dem Herrn, der Persönlichkeit Gottes, ein ewiges Leben in Glückseligkeit und Wissen.
Am Beispiel der Spiegelung kann man die Überseele verstehen, die in jedem einzelnen individuellen Körper anwesend ist und die man als Paramatma kennt, der vom individuellen Lebewesen verschieden ist. Wenn der Himmel im Wasser gespiegelt wird, repräsentieren die Spiegelungen sowohl die Sonne und den Mond als auch die Sterne. Die Sterne können mit den Lebewesen verglichen werden und die Sonne oder der Mond mit dem Höchsten Herrn. Die individuelle, fragmentarische Seele wird von Arjuna repräsentiert, und die Höchste Seele ist die Persönlichkeit Gottes, Sri Krishna.
Krishna und Arjuna befinden sich jedoch nicht auf der gleichen Ebene, wie zu Beginn des Vierten Kapitels deutlich werden wird. Wenn sich Arjuna auf der gleichen Ebene wie Krishna befindet und Krishna nicht über Arjuna steht, dann wird ihre Beziehung als Lehrer und Schüler bedeutungslos. Wenn beide von der illusionierenden Energie (maya) getäuscht sind, ist es nicht notwendig, daß der eine Lehrer und der andere Schüler ist. Solche Unterweisungen wären nutzlos, da niemand in der Gewalt mayas ein maßgebender Lehrer sein kann. Hier jedoch wird Sri Krishna als der Höchste Herr anerkannt, der Sich in einer höheren Stellung befindet als das Lebewesen, Arjuna, der eine von maya irregeführte, vergeßliche Seele ist.
avinasi tu tad viddhi - yena sarvam idam tatam /
vinasam avyayasyasya - na kascit kartum arhati
vinasam avyayasyasya - na kascit kartum arhati
Wisse, das was den gesamten Körper durchdringt, ist unzerstörbar. Niemand ist imstande, die unvergängliche Seele zu zerstören.
ERLÄUTERUNG Dieser Vers erklärt noch deutlicher das wirkliche Wesen der Seele, das über den gesamten Körper verbreitet ist. Jeder kann verstehen, was über den ganzen Körper verbreitet ist: es ist Bewußtsein. Jeder ist sich der Schmerzen und Freuden bewußt, die entweder in einem Teil des Körpers oder im gesamten Körper empfunden werden. Diese Verbreitung von Bewußtsein beschränkt sich auf den eigenen Körper.
Die Schmerzen und Freuden des einen Körpers sind einem anderen unbekannt. Daher ist jeder einzelne Körper die Verkörperung einer individuellen Seele, und das Symptom für die Anwesenheit der Seele wird als individuelles Bewußtsein erfahren. Diese Seele wird als so groß wie der zehntausendste Teil einer Haarspitze beschrieben. Die Svetasvatara Upanisad (5.9) bestätigt dies wie folgt:
balagra-sata-bhagasya satadha kalpitasya ca /
bhago jivah sa vijñeyah sa canantyaya kalpate
bhago jivah sa vijñeyah sa canantyaya kalpate
"Wenn eine Haarspitze in hundert Teile und jedes dieser Teile in weitere hundert Teile zerlegt wird, dann entspricht eines dieser Teile der Größe der Seele." Im Bhagavatam wird diese Tatsache in ähnlicher Weise erklärt:
kesagra-sata-bhagasya satamsah sadrisatmakah /
jivah suksma-svarupo'yam sankhyatito hi cit-kanah
jivah suksma-svarupo'yam sankhyatito hi cit-kanah
"Es gibt unzählige Partikel von spirituellen Atomen, und jedes von ihnen ist so groß wie der zehntausendste Teil einer Haarspitze."
Hiernach ist das individuelle Partikel, das eine spirituelle Seele darstellt, ein spirituelles Atom, das kleiner ist als die materiellen Atome, und solche Atome sind unzählbar. Dieser sehr kleine spirituelle Funken bildet das Grundprinzip des materiellen Körpers, und der Einfluss eines solchen spirituellen Funkens ist über den ganzen Körper verbreitet, ebenso wie sich der Einfluss des aktiven Prinzips eines Medikaments im gesamten Körper verbreitet. Diese Ausbreitung der Seele wird überall im Körper als Bewusstsein verspürt, und das ist der Beweis für die Gegenwart der Seele.
Jeder Laie kann verstehen, dass der materielle Körper ohne Bewusstsein ein toter Körper ist und dass dieses Bewusstsein im Körper durch keine materielle Bemühung wiederbelebt werden kann. Bewusstsein ist daher auf keinerlei Menge materieller Verbindungen zurückzuführen, sondern auf die spirituelle Seele. In der Mundaka Upanisad (3.1.9) wird weiter erklärt, wie man die atomische spirituelle Seele misst.
eso 'nuratma cetasa veditavyo - yasmin pranah pañcadha samvivesa /
pranais cittam sarvam otam prajanam - yasmin visuddhe vibhavaty esa atma
pranais cittam sarvam otam prajanam - yasmin visuddhe vibhavaty esa atma
"Die Seele ist atomisch klein und kann durch vollkommene Intelligenz wahrgenommen werden. Diese atomische Seele schwebt in den fünf Luftarten prana, apana, vyana, samana und udana, befindet sich im Herzen und verbreitet ihren Einfluss über den gesamten Körper des verkörperten Lebewesens. Wenn die Seele von der Verunreinigung durch die fünf Arten materieller Luft geläutert ist, entfaltet sich ihr spiritueller Einfluss."
Das hatha-yoga-System ist dazu gedacht, die fünf Luftarten, die die reine Seele umkreisen, durch verschiedene Sitzstellungen zu meistern - nicht um irgendeines materiellen Gewinns willen, sondern um die winzige Seele aus der Verstrickung in die materielle Atmosphäre zu befreien.
Das Wesen der winzigen Seele wird also in allen vedischen Schriften anerkannt und in der praktischen Erfahrung jedes geistig gesunden Menschen tatsächlich empfunden. Nur ein Geistesgestörter kann glauben, die winzig kleine Seele sei das alldurchdringende vishnu-tattva.
Der Einfluß der winzigen Seele kann vollständig über einen bestimmten Körper verbreitet werden. Wie es in der Mundaka Upanisad heißt, befindet sich die atomische Seele im Herzen des Lebewesens, und da die Messung der atomischen Seele jenseits der Reichweite der materiellen Wissenschaftler liegt, behaupten einige von ihnen törichterweise, es gebe keine Seele. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die individuelle winzige Seele zusammen mit der Überseele im Herzen weilt, und daher kommen alle Energien, die zur Bewegung des Körpers benötigt werden, aus diesem Teil des Körpers. Die roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff aus der Lunge mit sich tragen, bekommen Energie von der Seele. Wenn die Seele diese Stellung verlässt, kommt die Tätigkeit des Blutes, die die Verbrennungsvorgänge anregt, zum Stillstand.
Die medizinische Wissenschaft erkennt die Bedeutung der roten Blutkörperchen an, aber sie kann nicht herausfinden, dass die Quelle der Energie die Seele ist. Auf der anderen Seite aber räumt die medizinische Wissenschaft ein, dass das Herz der Sitz aller Energien des Körpers ist. Diese atomischen Partikel des Spirituellen Ganzen werden mit den Molekülen des Sonnenscheins verglichen. Im Sonnenschein gibt es unzählige strahlende Moleküle. In ähnlicher Weise sind die fragmentarischen Teile des Höchsten Herrn atomische Funken der Strahlen des Höchsten, die als prabha oder höhere Energie bezeichnet werden. Weder das vedische Wissen noch die moderne Wissenschaft verleugnen die Existenz der spirituellen Seele im Körper, und die Wissenschaft von der Seele wird ausführlich von der Höchsten Persönlichkeit Gottes Selbst in der Bhagavad-gita erklärt.
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