06.08.2023, 13:27
Das halbe Ei
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Ein spirituelles Märchen von Silvia Gudehus , Theosophische Gesellschaft
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In einer Zeit, als die Erde noch jungfräulich war, schob der mächtige Sonnengeist in einer Laune das dichte Wolkenkleid beiseite und verliebte sich in ihre kühle Schönheit. Sein leuchtender Kuss erhellte ihren Schlaf und seine Wärme berührte sie so tief, dass sie ihm in Liebe eine Frucht gebären wollte, einen Diamanten, der ihm sein Licht in allen Farben des Regenbogens spiegeln sollte. So begann es tief in ihrem Schoße zu wirken, und während sie unermüdlich um ihn kreiste, wuchs in ihr ein kleines Ei. Beschützt von harter Schale nahm ihre Liebe langsam die Gestalt winziger Kristalle an, die sich zur Mitte hin immer größer und vollkommener entfalteten. Doch es war dunkel in ihrer Hülle und niemand konnte den wahren Schatz erkennen, den Mutter Erde unter ihrem Herzen trug. Niemand ? Es gab zwar noch keine Menschen, auch nicht Pflanzen und Tiere, aber es gab Geister, gute und böse.
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In einer Zeit, als die Erde noch jungfräulich war, schob der mächtige Sonnengeist in einer Laune das dichte Wolkenkleid beiseite und verliebte sich in ihre kühle Schönheit. Sein leuchtender Kuss erhellte ihren Schlaf und seine Wärme berührte sie so tief, dass sie ihm in Liebe eine Frucht gebären wollte, einen Diamanten, der ihm sein Licht in allen Farben des Regenbogens spiegeln sollte. So begann es tief in ihrem Schoße zu wirken, und während sie unermüdlich um ihn kreiste, wuchs in ihr ein kleines Ei. Beschützt von harter Schale nahm ihre Liebe langsam die Gestalt winziger Kristalle an, die sich zur Mitte hin immer größer und vollkommener entfalteten. Doch es war dunkel in ihrer Hülle und niemand konnte den wahren Schatz erkennen, den Mutter Erde unter ihrem Herzen trug. Niemand ? Es gab zwar noch keine Menschen, auch nicht Pflanzen und Tiere, aber es gab Geister, gute und böse.
Eberhard war ein guter Erdengeist, er beschütze die Schätze der Dunkelheit, die Hexe Dolorosa dagegen suchte stets nach Gelegenheiten Unheil anzurichten. Während Eberhard über die äußere Hülle wachte und zugleich das innere Wachstum durch die Zeiten begleitete, irrte Dolorosa blind im Dunkeln umher, ruhelos mit ausgesteckten Armen, lang und dünn wie ein Insekt, bis sie irgendwann ganz zufällig mit den Fingerspitzen gegen etwas Rundliches stieß. Sie umschwirrte es wild, wie eine Motte das Licht, betastete es ringsum wie mit hundert Fühlern gleichzeitig, bis sie festgestellte, dass es ein Ei war. Sogleich begann sie daran zu zerren und zu schieben, um es in einen der brodelnden Schlunde zu stoßen, die alles Lebendige verschlingen. Eberhard aber, der gerade klein genug war um in dem Ei aufrecht stehen zu können, hatte viele Helfer. Um sie zu rufen, schloss er einfach die kleinen Augen über seiner großen Zwerg-Nase, fasste seinen langen Bart und schickte einen Gedanken los, der im selben Augenblick bei Said dem Drachen ankam. Der schoss aus dem Wolkenmeer hinunter in die dunkle Erde, so schnell wie ein Blitz, nahm das Ei mit Eberhard darin zwischen seinen schützenden Zähnen auf, und trug es hinauf in die Sicherheit der dichten Wolken. Drachen sind allen Elementen willkommen, denn sie sind Wanderer zwischen den Welten. Die Hexe dagegen, die an die Dunkelheit des Erdinneren gebunden war, konnte die Grenze zum Licht nicht überschreiten und ihr wütender Schrei ließ das ganze Universum erzittern. Doch dann begann sie sich an ihre Künste zu erinnern. Sie hexte und hexte, verwandelte die Wolken in Wasser und es bildeten sich riesige Ozeane. Sie ließ feurige Blitze hinein fahren und erschuf damit den Beginn allen Lebens. Sonne und Regen erweckte die Pflanzenwelt und die Erde verwandelte sich in einen blühenden Garten, eine wundervolle Heimat, in der alle Wesen ihre ureigene Gestalt fanden.
Sie wurde immer zorniger, denn was sie auch tat, es wandelte sich in etwas Gutes. Eine Hölle auf Erden wollte sie erschaffen, nicht einen Paradiesgarten. Mit Spinnenfingern formte sie hastig aus einem Erdklumpen eine eigenwillige Gestalt, warf sie so hoch sie konnte und schrie "Geh hin auf zwei Beinen und zerstöre das Paradies". Und mit dem Schwert in der Hand begann der Mensch umher zu irren und wo er irrte, hinterließ er Verwüstung. Er wollte alles besiegen was er nicht verstand, wollte sogar den Drachen töten um Kraft und Magie aus seinem Blute zu trinken. Endlich fand der Mensch den Drachen schlafend in einer Höhle auf hohem Berg, und als er das Schwert zum tödlichen Stoß erhob, verlor er die Balance und stürzte zurück in die Tiefe. Said der Drache, der immer noch das Ei auf seine glühenden Zunge zwischen seinen Zähne bewahrte wusste, dass die Zeit reif war und er breitete seine Schwingen aus, flog einen großen Kreis am wolkenlosen Himmel und ließ das Ei im rechtem Augenblick fallen, sodass es auf einen Felsen in zwei Hälften zersprang. Und der Sonnengeist war geblendet von der Pracht des Inneren, als es in ihm glitzernd sein mächtiges Licht in allen Farben des Regenbogens spiegelte.
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Seit jener Zeit hat Mutter Erde unzählige Diamanten geboren, größere und prächtigere, doch dieses kleine halbe Ei, dass ich hier und jetzt in meiner Hand halte, trägt den Zauber des Lichts das einst mit dem ersten Sonnenkuss die Dunkelheit erhellte. Aber wo ist die andere Hälfte geblieben ? Der Mensch sucht sie bis heute vergeblich. Seinen frühen Sturz überlebte er und vermehrte sich über die ganze Erde. Immer wieder gelang ihm der Aufstieg zum Berg des Drachen, doch die Menschen fanden die Höhle leer, denn der Drache hatte sich verwandelt und ist unsichtbar geworden. Er ist der große Geist, der über unsere Welt wacht, über Gutes und Böses, über Werden und Vergehen und er kennt das Geheimnis der zwei Hälften, die irgendwann wieder ein Ganzes werden.
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