05.10.2011, 10:02
Junge Finanzrevolte erobert US-Städte
Ausgerechnet von New York aus, der Weihestätte des Finanzkapitalismus, rollt eine aufschäumende Protestwelle gegen Banker-Geschäfte und soziale Spaltung durch Amerika: Für heute plant die junge Finanzrevolte ihren bisher größten Protestzug zur Wall Street - und findet weltweit Sympathisanten.
New York - Sie marschieren mit weiß angemalten Gesichtern als Zombies verkleidet durch Manhattan, um gierige Manager zu mimen. Sie lärmen mit Bongo-Trommeln im Finanzdistrikt von Chicago. Und sie errichten Zelte in öffentlichen Parks von New York, St. Louis, Kansas, Los Angeles und Boston. Ihre Botschaften tragen sie auf Plakaten und sprühen sie auf Zeltbahnen: "Human need, not corporate greed", steht da: Menschliche Bedürfnisse, nicht gierige Unternehmen. Oder: "Kämpft gegen die Reichen, aber nicht für deren Kriege".
In San Francisco trugen Mitglieder der jungen Anti-Wall Street-Bewegung am Donnerstag ausgeschnittene Portraits von Wells-Fargo-Chef John Stumpf vor sich her durch die Kearny Street. Die Proteste, die am 17. September in New York unter dem Banner "Occupy Wall Street" - besetzt die Wall Street - begannen, breiten sich seit dem Wochenende rasend aus, sogar über die Landesgrenzen der USA hinweg.
Selbst in Hamburg und Frankfurt am Main haben sich bereits Facebook-Gruppen aus Sympathie zu den Börsenbesetzern gebildet. "Es ist der richtige Moment sich Gedanken zu machen, wie wir uns als Gruppe in Hamburg aktiv an der großen Bewegung, die am Entstehen ist, beteiligen können", heißt es auf der Facebook-Seite von "Occupy Hamburg". Dass indes von einer großen Bewegung noch längst keine Rede sein kann, sieht man an der Zahl der "Freunde". Nur 329 Besucher haben bisher angeklickt, dass ihnen die Seite gefällt. In Frankfurt sind das bereits 665, doch von der Gruppe in Deutschlands Finanzzentrum werden noch Übersetzer und ein "Administrator" gesucht.
Das illustriert in etwa, wie die junge Bewegung trotz der beschleunigten Expansion aussieht: Fragmentiert, ohne klar erkennbare Führung und ohne scharf umrissene Forderungen. Allerdings reiht sich die Bewegung ein in den Protest gar von US-Bundesstaaten, die brüskiert ihr Geld von den Wall-Street-Bankern abziehen wollen. Und die Wucht, mit der sich seit dem Samstag aus zersplitterten Demonstrantengrüppchen eine junge Bewegung formt, ist erstaunlich. Und sie hat gute Gründe: Nach einem Auftritt des Filmemachers Michael Moore, der seit Jahren mit kritischen Dokumentarfilmen gegen soziale Missstände in den USA kämpft, bekam Occupy Wall Street vor einer Woche erstmals Beachtung in den großen Mainstream-Medien. Diese hatten die beginnenden Proteste zuvor zehn Tage lang in der besten Sendezeit völlig ausgeblendet.
Demonstranten mit Pfefferspray besprüht
Am Samstag wurden bei einer Blockade der berühmten Brooklyn-Brücke in New York 700 Demonstranten der Bewegung festgenommen. Das riss viele Unzufriedene in den USA aus ihren Fernsehsesseln. Tags zuvor hatte ein Polizist mehrere - bereits festgesetzte - Demonstranten noch mit Pfefferspray besprüht. Das verursachte ebenfalls einen öffentlichen Aufschrei, der nun Sympathisanten in die Arme der Wall-Street-Protestler treibt. Am Montag schließlich trat Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz in New Yorks Zuccotti-Park bei den Demonstranten auf. Der Park liegt drei Blocks nordwestlich der Wall Street.
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Stiglitz sprach den überwiegend jungen Menschen Mut zu: "Ihr seid nicht alleine, es gibt zu viel Regulierung, die unsere Demokratie behindert, aber viel zu wenig Regulierung, die die Wall Street in die Schranken weist", rief er ein paar Hundert Protest-Campern zu. Diese verstehen sich als Botschafter jener 99 Prozent Amerikaner, die von dem reichsten einen Prozent der Bevölkerung, dem aber 40 Prozent des Volksvermögens gehört, wie in einer Saftpresse ausgequetscht würden.
Die Demonstranten, die nun an öffentlichen Plätzen in mindestens sieben amerikanischen Städten ausharren, haben ein riesiges Portfolio von Beschwerden über soziale Ungerechtigkeit im Land. Auf der Webseite Occupy Together kann man sie nachlesen: "Sie haben unsere Häuser in illegalen Zwangsversteigerungen genommen", wird großen Geschäftsbanken vorgeworfen. "Sie haben Bailouts von den Steuerzahlern bekommen und sich obszöne Boni geleistet", ist eine weitere von 15 aufgelisteten Klagen. Diese reichen bis zu der Verletzung der Privatsphäre durch große Online-Plattformen und zur Verlagerung von Jobs nach Übersee. US-Präsident Barack Obama wird nicht zuletzt vorgeworfen, zu wenig gegen die Arbeitslosigkeit im Lande zu unternehmen.
Doch eines haben alle Vorwürfe gegen Politik und Finanzelite gemeinsam: Sie richten sich gegen die soziale Spaltung Amerikas und den übermäßigen Einfluss wohl organisierter Interessengruppen - vor allem der Finanzbranche - auf den Kongress und die Obama-Administration. "Wir haben keine Stimmen, wir haben keine Lobbyisten, wir sind in Washington ziemlich vernachlässigt worden", schimpft Patrick Putnam, ein 27 Jahre junger Koch aus Framingham in Massachusetts. Er baut die Protestgruppe in Boston mit auf. Dort wurden am vergangenen Freitag 3000 Demonstranten zu einem Protestmarsch gegen die lokale Zweigstelle der Bank of America Chart zeigen versammelt.
"Occupy Together" zählt erste Initiativen in 134 amerikanischen Städten auf, sowie 13 in Europa, darunter neben Hamburg und Frankfurt am Main auch Manchester, Prag, Stockholm und London. Auch in das US-Nachbarland Kanada sind die Proteste übergeschwappt. "Occupy Toronto" will am 15. Oktober einen Marsch in Kanadas wichtiges Börsenviertel veranstalten.
Überall wo sie in den USA schon zelten, durch die Bankenviertel marschieren und Zweigstellen oder Brücken besetzen, sieht man vor allem junge, weiße und meist gut ausgebildete Menschen, aber auch vermeintliche Familienväter und sozial abgestürzte Ex-Mitglieder der US-Mittelschicht. Die jungen Demonstranten sind oft ernüchterte und deprimierte College-Absolventen, die mit hohen Schulden und miserablen Aussichten in den kollabierten Jobmarkt gestartet sind. Es sind aber auch Frauen und Männer um die 30 bis 40 Jahre, die finanziell verzweifelt sind, weil ihr Haus nach der Implosion des Immobilienmarktes weniger wert ist, als die Schulden gegenüber der Bank, die ihnen im Boom vor der Finanzkrise noch schnell eine Hypothek gegeben hat.
Jetzt rätseln nicht nur Soziologieprofessoren, ob aus dem bunten Häufchen eine große Bewegung wie im Vietnamkrieg werden kann, oder ob in zwei Monaten keiner mehr von der Wall-Street-Opposition reden wird. Am Donnerstag vergangener Woche erklärte sich die New Yorker Transportgewerkschaft mit ihren 38.000 Mitgliedern solidarisch. Die Busfahrer in dieser Gewerkschaft wollen sich von der Polizei auch nicht mehr zwingen lassen, festgenommene Protestler ins Gefängnis zu chauffieren. Zu diesem Zweck haben sie vor Gericht eine Klage eingereicht. Weitere Gewerkschaften in den USA liebäugeln mit ihrer Unterstützung.
Doch so mancher Beobachter zweifelt daran, dass andere Organisationen in der Lage oder willens sein werden, die Führung von Occupy Wall Street zu übernehmen. "Ich denke nicht, dass irgendeine existrierende Institution sich an die Spitze dieser Bewegung setzen wird, sie wird ihre eigene Hierarchie entwickeln", sagt Sidney Tarrow, ein Politikprofessor an der Cornell-Universität.
Ein Hauch von Revolutionsgerede
Es klingt dagegen noch wie Wunschdenken, wenn die auf Anprangerung sozialer Missstände spezialisierte Webseite "Common Dreams" im Zusammenhang mit den Aktivisten eine Begegnung von Barack Obama mit 13 Spitzenbankern vor zweieinhalb Jahren in Erinnerung ruft. "Meine Administration ist das einzige, was zwischen Euch und den Heugabeln steht", hatte der US-Präsident damals auf dem Höhepunkt der öffentlichen Empörung über extreme Boni für Manager der von Steuerzahlern geretteten Banken gesagt. "Jetzt werden die Heugabeln wirklich gewetzt", liest man in dieser Woche bei Common Dreams.
Wie sich die jungen Protestgruppen formieren, beschreibt die Facebook-Gruppe in Portland, im US-Bundesstaat Oregon: Zuerst wurden viele Tweets rausgeschickt, bis es genügend "Follower" gab, dann folgte ein Diskussionsforum, bis schließlich Gruppenmitglieder die kommunalen Bestimmungen über das Zelten in der Innenstadt studierten, um einen zentralen Ort für erste Aktionen ausfindig zu machen. Jetzt wird in Oregon zu einer ersten Generalversammlung aufgerufen. Dort sollen Ziele und Aktionen abgestimmt werden.
Nicht wenige zweifeln am möglichen Erfolg dieser Bewegung, wie immer er künftig von ihren Mitgliedern definiert werden mag. "Wir rechnen derzeit nicht mit größeren Unruhen", sagt FBI-Sprecher Tim Flannelly in New York, fügt aber hinzu, dass bei einer weiteren Ausbreitung "alle nötigen Mittel angewandt werden, um die Entwicklung zu kontrollieren". Mitglieder der Finanzelite und prominente Wirtschaftsjournalisten überhäufen die Börsenprotestler gerne mit Spott und Hohn. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, ein Milliardär, erklärt, es sei ein Fehler, gegen die Wall Street zu protestieren. Die Bewegung demonstriere gegen Menschen, die 40.000 bis 50.000 Dollar im Jahr verdienten und selbst kämpfen müssten. So recht glauben mag ihm das freilich niemand.
Die frühere CNBC-Reporterin Erin Burnett - in der Finanzwelt bewundert wie eine Miss America - begann am Montag Abend ihre neue Show auf CNN mit der Beschreibung eines Besuchs bei Occupy Wall Street in New York: "Ich wollte mir das heute selbst mal anschauen", sagte Burnett, "ich habe tanzende Leute gesehen, Trommeln, sogar einen Clown". Kritische Webseiten wie Common Dreams halten dagegen. Der Protestbewegung werde zu Unrecht vorgeworfen, sie habe keine griffige Botschaft. "Seit wann braucht man eine PR-Firma, um seine Mitgliedschaft in einer Demokratie zu untermauern ?".
Es gibt für die Wall-Street-Besetzer aber auch Zuspruch aus der Geldelite. Superinvestor George Soros erklärte am Montag, er könne die Gefühle der Wall Street-Protestler verstehen. Begleitet werden solche Sympathie-Bekundungen von zunehmender Kritik aus Amerikas Geld-Establishment an der klaffenden Einkommensschere und den wachsenden sozialen Spannungen. "Die Wall Street und die breite Bevölkerung sind symbiotisch miteinander verbunden", erklärte zu Wochenbeginn PIMCO-Geschäftsführer Bill Gross, "wenn einer auf Kosten des anderen reicher wird, können beide kollabieren". Eine deutliche Warnung an die Wall Street, mit übertriebenen Boni nicht weiter die soziale Spaltung des Landes zu verschärfen - und die ist schon heute weit, weit höher, als etwa in der Bundesrepublik:
In den USA liegen 83 Prozent aller Aktien in den Portfolios jenes einen Prozents der reichsten Amerikaner, während sechs von zehn Menschen "Paycheck to Paycheck" leben, also keinerlei Ersparnisse vorhalten, um mehr als ein paar Wochen ohne einen Job über die Runden zu kommen. Satte 66 Prozent des Einkommenszuwachses in den USA zwischen 2001 und 2007 ging auf die Konten der reichsten ein Prozent, während 46 Millionen US-Bürger mindestens hin und wieder Suppenküchen besuchen. Jeder vierte Amerikaner gibt zudem an, die Pensionierung in den vergangenen zwölf Monaten vertagt zu haben. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Kollabierende Immobilienpreise, Börsenverluste sowie die aufflackernde Inflation dezimieren das Vermögen der Amerikaner.
Größter Protestzug startet am Abend
Aus vielen Äußerungen der Protestler spricht zudem ein immenser Verlust von Vertrauen in die politischen Institutionen. Eine wachsende Zahl von Amerikanern habe völlig den Glauben in das System verloren, beklagt das Blog "Ende des amerikanischen Traums". Die Ernüchterung wird so beschrieben: "Viele von uns wuchsen in dem Glauben auf, dass man an der Wahlurne Amerika verändern kann. Doch viele müssen nun feststellen, dass beide großen Parteien schlicht gekauft wurden und dass sich nie etwas ändert, egal wen wir wählen".
Die jüngsten Umfragen belegen den deprimierenden Befund. Der Meinungsforscher Gallup bescheinigt Barack Obama in der jüngsten Umfrage nur noch 42 Prozent der Amerikaner hinter sich zu haben - das ist die geringste Zustimmung der US-Bürger zu seiner Politik seit seinem Amtsantritt Anfang 2009. Weiterhin wollen die Gallup-Meinungsforscher herausgefunden haben, dass 77 Prozent der US-Bürger der Meinung sind, Amerika ginge es besser, wenn die politische Führung mehr die Wünsche des Wahlvolks berücksichtigen würde.
Diese Zahlen, die auch miserable Zustimmung für Republikaner und Demokraten belegen, zeigen den immensen Nährboden, auf dem die junge Finanzrevolte ihre ersten Wurzeln setzt. Heute Abend wird sie mit ihrem bislang größten Protestzug vom New Yorker Rathaus zur Wall Street ziehen.
http://www.manager-magazin.de/politik/ar...56,00.html
Ausgerechnet von New York aus, der Weihestätte des Finanzkapitalismus, rollt eine aufschäumende Protestwelle gegen Banker-Geschäfte und soziale Spaltung durch Amerika: Für heute plant die junge Finanzrevolte ihren bisher größten Protestzug zur Wall Street - und findet weltweit Sympathisanten.
New York - Sie marschieren mit weiß angemalten Gesichtern als Zombies verkleidet durch Manhattan, um gierige Manager zu mimen. Sie lärmen mit Bongo-Trommeln im Finanzdistrikt von Chicago. Und sie errichten Zelte in öffentlichen Parks von New York, St. Louis, Kansas, Los Angeles und Boston. Ihre Botschaften tragen sie auf Plakaten und sprühen sie auf Zeltbahnen: "Human need, not corporate greed", steht da: Menschliche Bedürfnisse, nicht gierige Unternehmen. Oder: "Kämpft gegen die Reichen, aber nicht für deren Kriege".
In San Francisco trugen Mitglieder der jungen Anti-Wall Street-Bewegung am Donnerstag ausgeschnittene Portraits von Wells-Fargo-Chef John Stumpf vor sich her durch die Kearny Street. Die Proteste, die am 17. September in New York unter dem Banner "Occupy Wall Street" - besetzt die Wall Street - begannen, breiten sich seit dem Wochenende rasend aus, sogar über die Landesgrenzen der USA hinweg.
Selbst in Hamburg und Frankfurt am Main haben sich bereits Facebook-Gruppen aus Sympathie zu den Börsenbesetzern gebildet. "Es ist der richtige Moment sich Gedanken zu machen, wie wir uns als Gruppe in Hamburg aktiv an der großen Bewegung, die am Entstehen ist, beteiligen können", heißt es auf der Facebook-Seite von "Occupy Hamburg". Dass indes von einer großen Bewegung noch längst keine Rede sein kann, sieht man an der Zahl der "Freunde". Nur 329 Besucher haben bisher angeklickt, dass ihnen die Seite gefällt. In Frankfurt sind das bereits 665, doch von der Gruppe in Deutschlands Finanzzentrum werden noch Übersetzer und ein "Administrator" gesucht.
Das illustriert in etwa, wie die junge Bewegung trotz der beschleunigten Expansion aussieht: Fragmentiert, ohne klar erkennbare Führung und ohne scharf umrissene Forderungen. Allerdings reiht sich die Bewegung ein in den Protest gar von US-Bundesstaaten, die brüskiert ihr Geld von den Wall-Street-Bankern abziehen wollen. Und die Wucht, mit der sich seit dem Samstag aus zersplitterten Demonstrantengrüppchen eine junge Bewegung formt, ist erstaunlich. Und sie hat gute Gründe: Nach einem Auftritt des Filmemachers Michael Moore, der seit Jahren mit kritischen Dokumentarfilmen gegen soziale Missstände in den USA kämpft, bekam Occupy Wall Street vor einer Woche erstmals Beachtung in den großen Mainstream-Medien. Diese hatten die beginnenden Proteste zuvor zehn Tage lang in der besten Sendezeit völlig ausgeblendet.
Demonstranten mit Pfefferspray besprüht
Am Samstag wurden bei einer Blockade der berühmten Brooklyn-Brücke in New York 700 Demonstranten der Bewegung festgenommen. Das riss viele Unzufriedene in den USA aus ihren Fernsehsesseln. Tags zuvor hatte ein Polizist mehrere - bereits festgesetzte - Demonstranten noch mit Pfefferspray besprüht. Das verursachte ebenfalls einen öffentlichen Aufschrei, der nun Sympathisanten in die Arme der Wall-Street-Protestler treibt. Am Montag schließlich trat Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz in New Yorks Zuccotti-Park bei den Demonstranten auf. Der Park liegt drei Blocks nordwestlich der Wall Street.
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Stiglitz sprach den überwiegend jungen Menschen Mut zu: "Ihr seid nicht alleine, es gibt zu viel Regulierung, die unsere Demokratie behindert, aber viel zu wenig Regulierung, die die Wall Street in die Schranken weist", rief er ein paar Hundert Protest-Campern zu. Diese verstehen sich als Botschafter jener 99 Prozent Amerikaner, die von dem reichsten einen Prozent der Bevölkerung, dem aber 40 Prozent des Volksvermögens gehört, wie in einer Saftpresse ausgequetscht würden.
Die Demonstranten, die nun an öffentlichen Plätzen in mindestens sieben amerikanischen Städten ausharren, haben ein riesiges Portfolio von Beschwerden über soziale Ungerechtigkeit im Land. Auf der Webseite Occupy Together kann man sie nachlesen: "Sie haben unsere Häuser in illegalen Zwangsversteigerungen genommen", wird großen Geschäftsbanken vorgeworfen. "Sie haben Bailouts von den Steuerzahlern bekommen und sich obszöne Boni geleistet", ist eine weitere von 15 aufgelisteten Klagen. Diese reichen bis zu der Verletzung der Privatsphäre durch große Online-Plattformen und zur Verlagerung von Jobs nach Übersee. US-Präsident Barack Obama wird nicht zuletzt vorgeworfen, zu wenig gegen die Arbeitslosigkeit im Lande zu unternehmen.
Doch eines haben alle Vorwürfe gegen Politik und Finanzelite gemeinsam: Sie richten sich gegen die soziale Spaltung Amerikas und den übermäßigen Einfluss wohl organisierter Interessengruppen - vor allem der Finanzbranche - auf den Kongress und die Obama-Administration. "Wir haben keine Stimmen, wir haben keine Lobbyisten, wir sind in Washington ziemlich vernachlässigt worden", schimpft Patrick Putnam, ein 27 Jahre junger Koch aus Framingham in Massachusetts. Er baut die Protestgruppe in Boston mit auf. Dort wurden am vergangenen Freitag 3000 Demonstranten zu einem Protestmarsch gegen die lokale Zweigstelle der Bank of America Chart zeigen versammelt.
"Occupy Together" zählt erste Initiativen in 134 amerikanischen Städten auf, sowie 13 in Europa, darunter neben Hamburg und Frankfurt am Main auch Manchester, Prag, Stockholm und London. Auch in das US-Nachbarland Kanada sind die Proteste übergeschwappt. "Occupy Toronto" will am 15. Oktober einen Marsch in Kanadas wichtiges Börsenviertel veranstalten.
Überall wo sie in den USA schon zelten, durch die Bankenviertel marschieren und Zweigstellen oder Brücken besetzen, sieht man vor allem junge, weiße und meist gut ausgebildete Menschen, aber auch vermeintliche Familienväter und sozial abgestürzte Ex-Mitglieder der US-Mittelschicht. Die jungen Demonstranten sind oft ernüchterte und deprimierte College-Absolventen, die mit hohen Schulden und miserablen Aussichten in den kollabierten Jobmarkt gestartet sind. Es sind aber auch Frauen und Männer um die 30 bis 40 Jahre, die finanziell verzweifelt sind, weil ihr Haus nach der Implosion des Immobilienmarktes weniger wert ist, als die Schulden gegenüber der Bank, die ihnen im Boom vor der Finanzkrise noch schnell eine Hypothek gegeben hat.
Jetzt rätseln nicht nur Soziologieprofessoren, ob aus dem bunten Häufchen eine große Bewegung wie im Vietnamkrieg werden kann, oder ob in zwei Monaten keiner mehr von der Wall-Street-Opposition reden wird. Am Donnerstag vergangener Woche erklärte sich die New Yorker Transportgewerkschaft mit ihren 38.000 Mitgliedern solidarisch. Die Busfahrer in dieser Gewerkschaft wollen sich von der Polizei auch nicht mehr zwingen lassen, festgenommene Protestler ins Gefängnis zu chauffieren. Zu diesem Zweck haben sie vor Gericht eine Klage eingereicht. Weitere Gewerkschaften in den USA liebäugeln mit ihrer Unterstützung.
Doch so mancher Beobachter zweifelt daran, dass andere Organisationen in der Lage oder willens sein werden, die Führung von Occupy Wall Street zu übernehmen. "Ich denke nicht, dass irgendeine existrierende Institution sich an die Spitze dieser Bewegung setzen wird, sie wird ihre eigene Hierarchie entwickeln", sagt Sidney Tarrow, ein Politikprofessor an der Cornell-Universität.
Ein Hauch von Revolutionsgerede
Es klingt dagegen noch wie Wunschdenken, wenn die auf Anprangerung sozialer Missstände spezialisierte Webseite "Common Dreams" im Zusammenhang mit den Aktivisten eine Begegnung von Barack Obama mit 13 Spitzenbankern vor zweieinhalb Jahren in Erinnerung ruft. "Meine Administration ist das einzige, was zwischen Euch und den Heugabeln steht", hatte der US-Präsident damals auf dem Höhepunkt der öffentlichen Empörung über extreme Boni für Manager der von Steuerzahlern geretteten Banken gesagt. "Jetzt werden die Heugabeln wirklich gewetzt", liest man in dieser Woche bei Common Dreams.
Wie sich die jungen Protestgruppen formieren, beschreibt die Facebook-Gruppe in Portland, im US-Bundesstaat Oregon: Zuerst wurden viele Tweets rausgeschickt, bis es genügend "Follower" gab, dann folgte ein Diskussionsforum, bis schließlich Gruppenmitglieder die kommunalen Bestimmungen über das Zelten in der Innenstadt studierten, um einen zentralen Ort für erste Aktionen ausfindig zu machen. Jetzt wird in Oregon zu einer ersten Generalversammlung aufgerufen. Dort sollen Ziele und Aktionen abgestimmt werden.
Nicht wenige zweifeln am möglichen Erfolg dieser Bewegung, wie immer er künftig von ihren Mitgliedern definiert werden mag. "Wir rechnen derzeit nicht mit größeren Unruhen", sagt FBI-Sprecher Tim Flannelly in New York, fügt aber hinzu, dass bei einer weiteren Ausbreitung "alle nötigen Mittel angewandt werden, um die Entwicklung zu kontrollieren". Mitglieder der Finanzelite und prominente Wirtschaftsjournalisten überhäufen die Börsenprotestler gerne mit Spott und Hohn. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, ein Milliardär, erklärt, es sei ein Fehler, gegen die Wall Street zu protestieren. Die Bewegung demonstriere gegen Menschen, die 40.000 bis 50.000 Dollar im Jahr verdienten und selbst kämpfen müssten. So recht glauben mag ihm das freilich niemand.
Die frühere CNBC-Reporterin Erin Burnett - in der Finanzwelt bewundert wie eine Miss America - begann am Montag Abend ihre neue Show auf CNN mit der Beschreibung eines Besuchs bei Occupy Wall Street in New York: "Ich wollte mir das heute selbst mal anschauen", sagte Burnett, "ich habe tanzende Leute gesehen, Trommeln, sogar einen Clown". Kritische Webseiten wie Common Dreams halten dagegen. Der Protestbewegung werde zu Unrecht vorgeworfen, sie habe keine griffige Botschaft. "Seit wann braucht man eine PR-Firma, um seine Mitgliedschaft in einer Demokratie zu untermauern ?".
Es gibt für die Wall-Street-Besetzer aber auch Zuspruch aus der Geldelite. Superinvestor George Soros erklärte am Montag, er könne die Gefühle der Wall Street-Protestler verstehen. Begleitet werden solche Sympathie-Bekundungen von zunehmender Kritik aus Amerikas Geld-Establishment an der klaffenden Einkommensschere und den wachsenden sozialen Spannungen. "Die Wall Street und die breite Bevölkerung sind symbiotisch miteinander verbunden", erklärte zu Wochenbeginn PIMCO-Geschäftsführer Bill Gross, "wenn einer auf Kosten des anderen reicher wird, können beide kollabieren". Eine deutliche Warnung an die Wall Street, mit übertriebenen Boni nicht weiter die soziale Spaltung des Landes zu verschärfen - und die ist schon heute weit, weit höher, als etwa in der Bundesrepublik:
In den USA liegen 83 Prozent aller Aktien in den Portfolios jenes einen Prozents der reichsten Amerikaner, während sechs von zehn Menschen "Paycheck to Paycheck" leben, also keinerlei Ersparnisse vorhalten, um mehr als ein paar Wochen ohne einen Job über die Runden zu kommen. Satte 66 Prozent des Einkommenszuwachses in den USA zwischen 2001 und 2007 ging auf die Konten der reichsten ein Prozent, während 46 Millionen US-Bürger mindestens hin und wieder Suppenküchen besuchen. Jeder vierte Amerikaner gibt zudem an, die Pensionierung in den vergangenen zwölf Monaten vertagt zu haben. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Kollabierende Immobilienpreise, Börsenverluste sowie die aufflackernde Inflation dezimieren das Vermögen der Amerikaner.
Größter Protestzug startet am Abend
Aus vielen Äußerungen der Protestler spricht zudem ein immenser Verlust von Vertrauen in die politischen Institutionen. Eine wachsende Zahl von Amerikanern habe völlig den Glauben in das System verloren, beklagt das Blog "Ende des amerikanischen Traums". Die Ernüchterung wird so beschrieben: "Viele von uns wuchsen in dem Glauben auf, dass man an der Wahlurne Amerika verändern kann. Doch viele müssen nun feststellen, dass beide großen Parteien schlicht gekauft wurden und dass sich nie etwas ändert, egal wen wir wählen".
Die jüngsten Umfragen belegen den deprimierenden Befund. Der Meinungsforscher Gallup bescheinigt Barack Obama in der jüngsten Umfrage nur noch 42 Prozent der Amerikaner hinter sich zu haben - das ist die geringste Zustimmung der US-Bürger zu seiner Politik seit seinem Amtsantritt Anfang 2009. Weiterhin wollen die Gallup-Meinungsforscher herausgefunden haben, dass 77 Prozent der US-Bürger der Meinung sind, Amerika ginge es besser, wenn die politische Führung mehr die Wünsche des Wahlvolks berücksichtigen würde.
Diese Zahlen, die auch miserable Zustimmung für Republikaner und Demokraten belegen, zeigen den immensen Nährboden, auf dem die junge Finanzrevolte ihre ersten Wurzeln setzt. Heute Abend wird sie mit ihrem bislang größten Protestzug vom New Yorker Rathaus zur Wall Street ziehen.
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